Metrologische Analyse in der Geographie
von Franz Xaver Schütz
Im Fach Geographie werden metrologische Analysen insbesonders im Bereich der Stadtgrundrissanalyse durchgeführt. Dort beruht die Methode der metrologischen Analyse
auf direkten Messungen im Stadtgrundriss. Da die - gegebenenfalls lokalen - Maßsysteme historischer Epochen bekannt sind, kann der Versuch unternommen werden, diese durch
Messungen im Stadtgrundriss nachzuweisen. Es wird davon ausgegangen, dass dem Grundriss ein bestimmtes Maßsystem (Metrik), zum Beispiel Fuss, Ruten, Meter zu Grunde
liegt und meist werden dann Längen und Breiten von Parzellen, Straßen und Plätzen gemessen.
Nach BÖNISCH (1959/60, S. 197) haben die Ergebnisse HANNERBERGs (1955) auch in der deutschen Geographie "maßanalytische" Untersuchungen angeregt, nach Ansicht
von LAFRENZ (1982/86, S. 277) wurde der Ansatz der metrologischen Analyse im Jahre 1955 von HANNERBERG sogar erst systematisch begründet. Dieser hat, folgt man
LAFRENZ, die Methode erfolgreich zur Bestimmung der zeitlichen Aufeinanderfolge von Parzellargefügen im ländlichen Raum in Skandinavien angewandt. HANNERBERG
muss damit in die Reihe von traditionsreichen Arbeiten in der Flur(formen-)Analyse eingeordnet werden.
MORTENSEN (1962, S. 211) weist in seiner Zusammenfassung zu einem Kolloquium über Flurgenese 1961 in Göttingen auf die von MÜLLER-WILLE genannte Bezeichnung
"metrische Methode" hin, mit der dieser metrologische Analysen bezeichnet. BOELCKE (1964) mit seinem wichtigen Aufsatz zur flurgenetischen Forschung gehört,
ebenso wie PELTRE (1975) mit seinen metrologischen Analysen zum lothringischen Flursystem, dieser Richtung an. Erst nach der Anwendung von metrologischen Analysen
im ländlichen Raum folgte die Anwendung in städtischen Räumen, speziell auch in der geographischen Stadtgrundrissanalyse.
Dieser Ansatz wurde innerhalb der Geographie bisher eher randlich verfolgt. Auch im ausländischen Schrifttum gibt es nur wenige Hinweise auf
metrologische Analysen von Stadtgrundrissen. So hat nach Angaben von PETERS der Geograph GROSJEAN eine metrologische Analyse
der "Bieler Ober- und Untergasse" durchgeführt und damit bewiesen, dass die "Intervalle der Brandmauern in präzisen Maßverhältnissen zu einander stehen"
PETERS (1999, S. 143)125.
Sämtliche, bislang genannten Analysen wurden analog (papiergestützt) durchgeführt und es existieren im Schrifttum bis zum Jahr 2008 keine Hinweise auf computer-gestützte
metrologische Analysen in Städten. Alle bisherigen Arbeiten zielen zudem primär auf den Nachweis
einer planmäßigen Stadtgründung. Die Gründung einer Stadt erfolgte allerdings nur in Ausnahmefällen "an einem Stück" nach einem Gesamtplan, der dann auch
realisiert wurde. Meist verlief die Gründung als Prozess. Dies macht SCHMID (1996) am Beispiel von Kelheim deutlich.
Für die kritische Hinterfragung, die Darstellung und das Verständnis der bisher angewandten Methoden werden im Folgenden beispielhafte Beiträge zu traditionellen
(d.h. analog-kartengestützten) metrologischen Analysen von Stadtgrundrissen herangezogen. Es handelt sich um die Arbeiten von NITZ und um eine Arbeit von
LAFRENZ (1982/86) zu Friedrichstadt.
Wie NITZ zurecht bemerkt, ist für die metrologische Analyse zuerst zu ermitteln, welche "regionalen Größen" (NITZ 1994, S. 36) von Maßeinheiten jeweils angewandt
wurden. Dies ist besonders für historische Maße von größter Bedeutung. Bei dem bisherigen methodischen Vorgehen wurde meist ein (historisches) Maß zu Grunde gelegt
und dann gezielt danach "gesucht". So legte NITZ für seine metro-logische Analyse von Freiburg ein Fußmaß von 29,3 cm zu Grunde (NITZ 1999, S. 79) und erzielt damit
nach recht aufwändigen Messungen entsprechende Ergebnisse. Er räumt zwar ein, dass in der "Freiburg-Literatur" (NITZ 1999, S. 79) immer wieder ein
Fußmaß von 32,4 cm genannt wird, verwendet dies jedoch nicht, weil sich bei Verwendung eines Fußmaßes von 29,3 cm seinen Berechnungen zufolge plausiblere
Ergebnisse ergeben.
HUMPERT, SCHENK hingegen verwenden für ihre ebenfalls recht aufwändigen Untersuchungen zum Freiburger Stadtgrundriss das Fußmaß von 32,4 cm. Sie begründen die
Verwendung dieses Fußmaßes mit einer in der Vorhalle des Freiburger Münsters dokumentieren Elle mit 0,52 m. Das Fußmaß leiten sie daraus
ab (HUMPERT, SCHENK 2001, S. 95). SCHEUERBRANDT (1972, S. 200, Anm. 9) geht bei der Berechnung der Fläche von Hofstätten für Freiburg und Heidelberg ebenfalls
von einem Fußmaß von 32,4 cm aus. Es ergibt sich hier also das Problem der Verwendung von unterschiedlichen Fußmaßen, die selbstverständlich in recht
unterschiedlichen Ergebnissen resultieren.
Unterzieht man die bislang durchgeführten metrologischen Analysen einer weiteren, kritischen Betrachtung zeigt sich, dass die Untersuchungen aufgrund der Datenfülle
lediglich in einer vergleichsweise kleinen Fläche, die in der Regel den angenommenen Gründungs-Kernbereichen entspricht, erfolgten. Im Fall von Heidelberg merkt NITZ
selbst an, dass überschlägige Rechnungen angestellt wurden und dass es sich damit zweifellos um sehr pauschale Berechnungen handelt. Aus Aufwandsgründen wurde häufig
mit Durchschnittswerten gerechnet (NITZ 1999, S. 111). Des Weiteren wäre im Fall Heidelberg quellenkritisch zu prüfen, ob das von NITZ verwendete Fußmaß auch
tatsächlich auf Heidelberg anzuwenden ist, oder ob es dort womöglich ein eigenständiges Fußmaß gab.
So weist PELTRE (1972 Bd. 1, S. 28) etwa auf einen speziellen Heidelberger Fuß ("les pieds ... de Heidelberg") hin. Zu den von NITZ durchgeführten metrologischen
Analysen sei weiter bemerkt, dass MANSKE Beispiele zur Siedlungsentwicklung im Raum Oberpfalz anhand von Luftbildern und Flurplänen darlegt und dabei einen Widerspruch
zu den von NITZ für die Oberpfalz vorgenommenen Analysen im Bereich der Fluranalysen feststellt (MANSKE 1998, S.23). Auch LAFRENZ merkt für seine Untersuchungen
zu Friedrichstadt an, dass bei den Analysen lediglich vereinzelte Strecken direkt aufgemessen wurden und dass sich die Darstellung beispielhaft auf wenige Parzellen
beschränken muss (LAFRENZ 1982/1986, S. 292 und 294).
Parzellenscharfe Untersuchungen von Stadtgrundrissen erfordern entsprechend genaue "Grundkarten" und machen deshalb nach CONZEN (1968, S. S. 113-130) erst ab Maßstäben
größer/gleich 1:5000 Sinn. Diesem Hinweis von CONZEN folgen auch weitere Autoren, so PIPER (1982, S. 218) der CONZEN zitiert. Dieser Maßstab ist nach Ansicht von PIPER
das Minimum für die Darstellung einzelner Parzellen (PIPER 1982, S. 11, Anm. 51). Forderte CONZEN also für Stadtgrundrissuntersuchungen einen Mindestmaßstab
von 1:5000, so ist nach Meinung des Verfassers für metrologische Analysen im Stadtgrundriss ein Mindestmaßstab von 1:1000 bzgl. der Quellen zu fordern, um historische
Maße, wie etwa den Fuß mit einer durchschnittlichen Länge von 30 cm überhaupt messen zu können. Bei einem Maßstab von 1:1000 würde ein Fuß von 33 cm
einer "Strichstärke" von 0,033 cm entsprechen, vier Fuß (0,99 cm, also knapp ein Meter) würden etwa einem Millimeter (exakt: 0,99 mm) entsprechen.
Im Fall seiner Analyse von Breslau merkt NITZ an: "Einer Meßanalyse anhand des Plans 1:2500 sind allerdings Grenzen gesetzt" (NITZ 1994, S. 39).
HUMPERT, SCHENK (2001, S. 173) haben nach eigener Aussage bei der Analyse des Stadtplans von München ein Fußmaß von 0,29 m für die Gründungsanlage (1159;
zu München als Gründung Heinrichs des Löwen und zu weiteren Gründungen in Bayern vgl. KRAUS 1983, insb. S. 128, 129) gefunden. Leider geben sie nicht an,
aus welchem Plan und in welcher Weise sie dieses Maß herausgemessen haben. Sollte es sich um die in der Regel von den Autoren benutzen Pläne in den
Maßstäben 1:2500 bzw. 1:5000 handeln, hegt der Verfasser aus den oben genannten Gründen Zweifel, ob sich aus diesen Plänen ein derartiges Maß herausmessen lässt.
Metrologische Analysen in städtischen Räumen gestalten sich also höchst problematisch, gleichgültig ob sie nun in analoger oder digitale Form durchgeführt werden.
Diese Probleme sind zum einen in den Quellen begründet (dabei handelt es sich durchweg um historische Karten und Kataster). Zum anderen entstehen Probleme durch
Auswahl und Benutzung von unzutreffenden historischen Maßen. Derartige Analysen sind nach Ansicht des Verfassers nur dann erfolgversprechend, wenn ein sehr genau
vermessenes Kataster (bzw. eine Karte) im Maßstab von mindestens 1:1000 als "Referenzmedium" vorliegt. Würde für die Fallbeispiele Regensburg, Köln und Rom kein
derartiges "Referenzmedium" vorliegen, hätte der Verfasser nach der kritischen Betrachtung der bislang publizierten Literatur zum Thema "metrologische Analysen
in Stadtgrundrissen" von derartigen Analysen in Regensburg, Köln und Rom Abstand nehmen müssen.
Methodisch wird vom Verfasser nicht nur durch die Anwendung von digitalen Methoden ein anderer Weg beschritten, es wird auch nicht gezielt nach einem bekannten Maß
gesucht, sondern die Suche erfolgt nach möglichen historischen Maßen über den kompletten Datenbestand. Dies sind in der Regel aktuelle, digitale Kataster - also
Vektordaten - im Maßstab 1:500. Die Interpretation der "gefundenen" Maße muss freilich den
zuständigen Fachwissenschaften, wie z.B. der Geschichte und der Archäologie überlassen bleiben. Lediglich an durch Quellen eindeutig belegbaren Beispielen lassen sich
exemplarisch aufzeigen und belegen, dass digitale metrologische Stadtgrundrissanalysen mit sehr hoher Genauigkeit möglich sind und eindeutige, bisweilen noch
unbekannte Ergebnisse erbringen.
Auch in Fachgebieten ausserhalb der Geographie, z.B. in der Provinzialrömischen Archäologie stellen metrologische Analysen einen "etablierten" Forschungszweig dar
und sind dort unter der Bezeichnung "Limitations- bzw. Centurisationsforschung" bekannt. In diesem Forschungszweig werden seit geraumer Zeit Methoden der
Geographischen Informationsverarbeitung angewandt. So gelingt es GUGL (2005) in seiner unter Anwendung geographischer Informationsverarbeitung wegweisenden
Arbeit, Relikte der Centurisation im Raum des ehemaligen römischen Carnuntum nachzuweisen.
Falls metrologische Analysen durchgeführt wurden, wurden diese also bislang ausnahmslos angewandt, um durch historische Quellen gesicherte oder als sicher angenommene
planmäßige Stadtgründungen bzw. Stadterweiterungen zu verifizieren. Häufig wurden lediglich überschlägige, pauschale Berechnungen angestellt und aus Aufwandsgründen
wurde mit Durchschnittswerten gerechnet. Zudem waren die Untersuchungen räumlich eng auf die angenommenen Gründungs-Kernbereiche begrenzt.
In den folgenden Abbildungen werden Beispiele von digitalen metrologischen Analysen mit der Software FORTVNA gezeigt. Diese Software wurde von Autor zusammen mit
der Archäologin Chrystina Häuber entwickelt. Sie analysiert Verktordatenbestände in der Form, dass geprüft wird, ob die Länge eines Vektors, also zum Beispiel die
Länge eine Linie, die beispielsweise eine Parzellenbegrenzung darstellen könnte, einem historischen Längenmaß oder dem Vielfachen dieses Längenmaßes entspricht.
Falls das der Fall ist, wird die Linie markiert und es können auch die Abmessungen und mögliche historische Längenmaße angezeigt werden.
In obiger Abbildung wurde im Stadtgebiet Regensburg zwischen den Punkten P1 und P2 ein Maß gemessen,
das ziemlich genau 40 karolingischen Fuß zu 34 cm entspricht.
Obige Abbildung zeigt ein Maß von 50 bayerischen Fuß in der Maximilianstraße in Regensburg.
Nach den Planungsunterlagen war diese Straße mit genau 50 bayerischen Fuß Breite geplant.
Obige Abbildung zeigt ein Maß von 12 rheinländischen Fuß am "Fischmarkt" im Stadtkern von Köln.
Obige Abbildung zeigt ein Maß von 25 "palmo romano" im Stadtkern von Rom.
(Ausschnitt einer Abbildung aus SCHÜTZ 2010, Seite 476)
Quellen:
BÖNISCH, F. (1959/60): Die Zusammenführung einiger alter Fußmaße nach der geographisch-maßanalytischen Methode. In: Berichte zur Deutschen Landeskunde.
Bonn-Bad Godesberg. 24. Bd., S. 197-206. (Der 24. Band erschien in 2 Heften, 1. Heft Dezember 1959, 2. Heft März 1960, der Aufsatz befindet sich im 2. Heft).
BOELCKE, W.A. (1964): Die frühmittelalterlichen Wurzeln der südwestdeutschen Gewannflur. In: Zeitschrift für Agrargeschichte und Agrarsoziologie.
Jahrgang 12, Heft 2. 1964, S. 131-163.
CONZEN, M.R.G. (1968): The Use of Town Plans in the Study of Urban History. In: DYOS, H.J. (Ed.): The Study of Urban History. London. S. 113-130.
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KRAUS, A. (1983): Geschichte Bayerns. Von den Anfängen bis zur Gegenwart. München.
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von LAFRENZ 1982/1986)
MANSKE, D.J. (1998): Siedlungsentwicklung im Raum Oberpfalz anhand von Luftbildern und Flurplänen. In: BREUER, JÜRGENS 1998. München. S. 16-23.
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(Hrsg.): Festschrift für Erdmann Gormsen zum 65. Geburtstag. Mainz. S. 35-44. (= Mainzer Geographische Studien, Heft 40).
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PELTRE, J. (1975): Recherches métrologiques sur les finages Lorrains. Lille, Univ. III, Atelier: Reprod. des Thèses. (Bd. 1: Text, Bd. 2: Karten).
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SCHMID, A. (1996): Kelheim. Die Stadt am Fluß. Stuttgart.
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SCHÜTZ, Franz (2010): Stadtforschung und Geoinformatik. Beispiele Rom und Regensburg. In: Kunstchronik, herausgegeben vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte,
63. Jahrgang, Heft 9/10, September/Oktober 2010. Seiten 473-478.
WITTHÖFT, H., (Hrsg.) in Zusammenarbeit mit BINDING, G., IRSIGLER, F., SCHNEIDER, I., ZIMMERMANN, A. (1986): Die historische Metrologie in den Wissenschaften.
Philosophie - Architektur- und Baugeschichte - Geschichte der Mathematik und der Naturwissenschaften - Geschichte des Münz-, Maß- und Gewichtswesens. Mit einem
Anhang zur Sachüberlieferung an Maßen und Gewichten in Archiven und Museen der Bundesrepublik Deutschland. St. Katharinen. (= Sachüberlieferung und Geschichte.
Siegener Abhandlungen zur Entwicklung der materiellen Kultur. Bd. 3).
WITTHÖFT, H. (Hrsg.) (1991): Handbuch zur historischen Metrologie. Bd. 1: Deutsche Bibliographie zur historischen Metrologie. St. Katharinen.
WITTHÖFT, H. (Hrsg.) (1993): Handbuch der Historischen Metrologie. Band 2: Deutsche Maße und Gewichte des 19. Jahrhunderts. Teil I: Die Orts- und Landesmaße.
St. Katharinen.
WITTHÖFT, H. (Hrsg.) (1994): Handbuch der Historischen Metrologie. Band 3: Deutsche Maße und Gewichte des 19. Jahrhunderts. Teil II: Die Maß- und Gewichtseinheiten.
St. Katharinen.
WITTHÖFT, H. (Hrsg.) (1994): Handbuch der Historischen Metrologie. Band 4: Deutsche Maße und Gewichte des 19. Jahrhunderts. Teil III: Korpus der Maße und Gewichte
nach den Rechtsquellen des 20. Jahrhunderts. St. Katharinen.
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