Römische Archäologie I - Republik - zweite Vorlesung

Dr. Chrystina Häuber, Universität Tübingen

2. Vorlesungssitzung

Di, 20. April 2010



Sehr geehrte Damen und Herren,


willkommen zur 2. Vorlesungssitzung !



Inzwischen ist uns von Herrn Dr. Faust der Grund für die Störung des Mikrophons am vergangenen Dienstag erklärt worden. Ich hoffe sehr, dass dieses Problem nun behoben ist.


Nach der 1. Vorlesungssitzung bin ich gebeten worden, doch wieder etwas an die Tafel zu schreiben, da denjenigen, die mich angesprochen haben, die korrekte Schreibweise mancher Begriffe unbekannt war. Ich habe deshalb die benutzten Fachtermini, sowie die antiken Orte und Personen, die in der 1. Stunde genannt wurden, aufgelistet und dieses Blatt im Aktenordner zu unserer Vorlesung abgeheftet. Den Ordner lasse ich jetzt noch einmal herumgehen, und Sie werden ihn nachher wieder im Apparat finden. Die Begriffe, die heute und in den folgenden Sitzungen genannt werden, verteile ich Ihnen in Kopie und werde die entsprechenden Blätter nach den jeweiligen Vorlesungssitzungen gleichfalls in diesem Ordner abheften. Ich habe diese Begriffe absichtlich nicht alphabetisch geordnet, sondern in der Reihenfolge, in der sie in der jeweiligen Vorlesungssitzung vorkommen - anhand dieser Blätter werden Sie deshalb unschwer nachvollziehen können, was Gegenstand der jeweiligen Vorlesung war.


Bitte beachten Sie, dass es sich hierbei nicht um Glossare handelt, sondern nur um die Begriffe selbst; dies soll Sie, falls Sie diese Begriffe nicht kennen, in die Lage versetzen, weiterführende Informationen in den einschlägigen Lexika unseres Faches auffinden zu können. Da es kein spezielles Tutorium zu meiner Vorlesung gibt, nehme ich an, dass Sie das allgemeine Tutorium absolviert haben [stimmt]. Zur zeitsparenden Bewältigung der Themen meiner Vorlesung soll die Literatur- und Dialiste dienen, die ich für Sie angefertigt habe, und die ich weiterhin ergänzen werde.


Dabei gehen Sie am besten so vor, dass Sie sich die Literatur heraussuchen, aus der ich die entsprechenden Abbildungen gewählt habe, dies ist im Fall der Werke, die im Apparat stehen, am einfachsten. Und zwar deshalb, weil sowohl diese Ausstellungskataloge, als auch das Lexicon Topographicum Urbis Romae zu jedem Katalogeintrag die verwendeten Bibliographien verzeichnen, zu der auch deutsche Literatur gehört. Sie werden dann unschwer bemerken, warum ich Ihnen in den meisten Fällen die jeweils neueste Literatur zu einem Sachverhalt genannt habe (die meisten Ausnahmen von dieser Regel stellen deutsche Übersetzungen ausländischer Texte dar). Dies hat zwei Gründe, 1.) schreitet die Forschung beständig voran, und 2.) besteht die jeweils neueste Literatur in einigen Fällen aus Ausstellungskatalogen.


Ausstellungskataloge haben für Sie gleich mehrere Vorteile. Die Verfasser sind zwar Autoren, die für das jeweilige Thema als Spezialwissenschaftler ausgewiesen sind, diese Texte sind aber nicht nur sehr viel kürzer als die zu Grunde liegenden Arbeiten derselben Wissenschaftler - welche diese zuerst in der `normalen´ wissenschaftlichen Literatur, das heißt in Aufsätzen in wissenschaftlichen Zeitschriften, Reihen oder in Form von Büchern publiziert haben - sondern sie sind obendrein noch leichter verständlich, weil sie nicht ausschließlich für ein wissenschaftlich vorgebildetes Publikum geschrieben sind. Schließlich werden Ausstellungskataloge in wesentlich größeren Auflagen gedruckt als `normale´ wissenschaftliche Texte, weshalb viele der behandelten Stücke in guten Farbabbildungen wiedergegeben sind, was in `normaler´ wissenschaftlicher Literatur aus Kostengründen kaum möglich ist.


Außerdem bin ich gefragt worden, warum ich nicht ein Buch angeben könne, in dem alle Abbildungen enthalten sind, die ich Ihnen in dieser Vorlesung im Laufe der Zeit vorstellen werde. Die niederschmetternde Wahrheit zu diesem Sachverhalt ist, dass ein derartiges Werk (noch) nicht existiert, was damit zusammenhängt, dass der BA-Studiengang noch relativ neu ist. Dazu müssen Sie außerdem wissen, dass es Vorlesungen wie diese zuvor noch gar nicht gab. Ich habe in der 1. Vorlesungsstunde versucht, Ihnen die damit zusammenhängende Problematik anzudeuten, indem ich gesagt habe, dass diese Vorlesung auch für mich eine Premiere darstellt. Die Literatur, die ich für Sie zusammengestellt habe, gebe ich nicht etwa deshalb an, um Ihnen unnötig viel Arbeit aufzubürden, sondern ich bemühe mich im Gegenteil darum, Ihnen die Fülle der Fakten zu diesem Thema anhand einer überschaubaren Anzahl von Werken näherzubringen. Außerdem handelt es sich im Falle der Klassischen Archäologie um eines jener Fächer, bei dem Sie im Selbststudium jenes Wissen, das ich Ihnen in der Vorlesung in komprimierter Form zu vermitteln versuche, in der Bibliothek nachvollziehen müssen, damit es ihr eigener geistiger Besitz wird. Stures Auswendiglernen, das in anderen Zusammenhängen reicht um einen Test zu bestehen, bringt in unserem Fach an der Universität auf Dauer gar nichts. Dabei lehrt die Erfahrung in unserem Fach, dass durch wiederholtes Anhören von Sachverhalten und wiederholtes Anschauen der entsprechenden originalen Denkmäler - oder von Abbildungen dieser Denkmäler in der Literatur - das nötige Grundwissen erworben werden kann.


2. Dia - TEXT

Dr. Nadia Koch

Proseminar: Republikanisches Porträt

Blockveranstaltung

Freitag: 30.4., 11.6., 2.7.2010

jeweils 10.00-17.00 Uhr

mit Exkursion nach München, Besuch der Glyptothek

Email: nadiajustine.koch@sbg.ac.at


Ich empfehle Ihnen deshalb, zur Vertiefung des Wissens, das Sie bei mir erwerben können, das Proseminar von Frau Dr. Nadia Koch zu besuchen, die hier am vergangenen Mittwoch einen Vortrag gehalten hat. Das Thema des Proseminars ist das republikanische Portrait, und weil Frau Dr. Koch in Salzburg lebt, wird Sie es in Form einer Blockveranstaltung durchführen. Während ich Ihnen in meiner Vorlesung Portraits aus dem gesamten Zeitraum der römischen Republik zeigen werde, wird sie sich auf Portraits des 2. und 1. Jahrhunderts v. Chr. konzentrieren, sie wird aber auch die Auswirkung dieser Werke auf die Entstehung des frühneuzeitlichen Portraits in Italien untersuchen. Sie und ich haben beschlossen, Ihnen in einigen Fällen dieselben republikanischen Portraits näherbringen zu wollen. In diesem Proseminar zum republikanischen Portrait werden Sie Gelegenheit haben, selbst ein Referat anzufertigen, außerdem wird Frau Dr. Koch mit den Teilnehmern ihres Proseminars27 eine Exkursion nach München machen und dort die Glyptothek besuchen, wo Sie einige der behandelten Bildnisse im Original sehen werden. Mit dem Besuch dieses Proseminars und der dazugehörigen Exkursion können Sie sich gleichzeitig auf die Prüfung zu meiner Vorlesung vorbereiten, die Sie hoffentlich alle glänzend absolvieren werden.


Frau Dr. Koch bittet diejenigen, die an ihrem Proseminar teilnehmen möchten, ihr eine Email zu schreiben.


Nun also zurück zum Thema unserer Vorlesung. Um Sie einzustimmen, werde ich den letzten Abschnitt der 1. Vorlesungssitzung noch einmal wiederholen. Ich hatte Ihnen von der Lucretiageschichte berichtet, die im Jahre 510 / 509 v. Chr. spielt, und zwar von jener Fassung dieser Geschichte, die Livius in augusteischer Zeit verfasst hat.


Nachdem alle Männer, die an der Wette `meine Ehefrau ist die beste´ beteiligt waren, erleben konnten, dass Lucretia mit ihren Mägden damit beschäftigt war, Wolle zu spinnen, ist ihr Ehemann, Collatinus, entzückt Recht behalten zu haben, dass seine Gattin die `beste´ sei, und lädt die Söhne des Tarquinius Superbus freundlich zu einem geselligen Beisammensein in seinem Hause ein - doch die Sache hat ein tragisches Nachspiel. Im Folgenden fasse ich den weiteren Verlauf der Lucretiageschichte nach der Version des Livius zusammen.


Sextus Tarquinius, der älteste Sohn des Tarquinius Superbus und somit sein präsumptiver Nachfolger, verliebt sich an diesem Abend in Lucretia, besucht sie später auch allein, und zwar immer am Abend, und macht ihr Avancen. Da Lucretia auf sein Drängen nicht eingeht, droht er sie zu ermorden und kommt 1.) deshalb an sein Ziel, weil Lucretias Mann wegen der Belagerung von Ardea nicht zu Hause ist, und 2.) weil Sextus behauptet, neben Lucretias Leichnam einen getöteten Sklaven legen zu wollen, damit es so aussähe, als habe sie ihren Mann mit diesem Sklaven betrogen. Am Morgen nach der Vergewaltigung ruft Lucretia ihren Vater und ihren Mann herbei, erzählt ihnen was vorgefallen ist, und bittet die beiden sie zu rächen. Beide Männer sind der Ansicht, dass sie - Lucretia - keinerlei Schuld an diesem Ehebruch treffe. Doch Lucretia erklärt, sie müsse sterben, weil sich ansonsten zukünftig Ehebrecherinnen auf ihre soeben erlittene Vergewaltigung berufen könnten, und zwar auch in den Fällen, in denen diese Frauen mit dem Geschlechtsverkehr eigentlich einverstanden gewesen wären - sie ergreift einen Dolch und nimmt sich das Leben.


`Zufällig´ ist Brutus bei dieser Familientragödie zugegen, er nimmt den blutigen Dolch mit sich nach Rom, wo er eine Volksversammlung einberuft, welche die Vertreibung des Königshauses der Tarquinier beschließt. Wir erinnern uns an den Orakelspruch des Apollon in Delphi: die Herrschaft des Tarquinius Superbus werde enden, wenn `ein Hund (das heißt Brutus) zu sprechen beginnt´. Als Tarquinius Superbus in Ardea von den Vorgängen in Rom erfährt und dorthin zurückkehrt, ist es bereits zu spät. Die Tore der Servianischen Stadtmauer bleiben für ihn verschlossen und er muss ins Exil gehen. Daraufhin werden Brutus, der den Tyrannen verjagt hat, und Collatinus, der Ehemann der Lucretia, als die ersten Consuln Roms gewählt.


Die Geschichte der Lucretia hat nicht nur in der Antike die Gemüter bewegt, und in der Neuzeit zahlreiche Maler und Dichter, z. B. Boccaccio und Shakespeare, inspiriert, sie ist auch für die moderne Forschung aus den verschiedensten Gründen interessant. 1.) kann man den Ursprüngen dieser Geschichte nachgehen und feststellen, dass sie mit dem Motiv eines Streites von Männern, wer von ihnen die beste Ehefrau besitze, dem Schema des hellenistischen Romans folgt28, das heißt griechische Vorbilder hat, die in der Zeit nach dem Tode Alexanders des Großen 323 v. Chr. entstanden sind.


2.) ist die Lucretiageschichte für all jene interessant, die sich mit der juristischen Stellung der Frau in der römischen Gesellschaft beschäftigen, dazu habe ich Ihnen in der Literaturliste den Sammelband der amerikanischen Byzantinistin Angeliki E. Laiou genannt, in dem die Rechtshistorikerin Diana C. Moses die Lucretiageschichte aus dieser Perspektive analysiert. Der Titel des Bandes lautet: "Consent and Coercion to Sex and Marriage in Ancient and Medieval Societies", `Einverständnis und Zwang zu Sex und Heirat in antiken und mittelalterlichen Gesellschaften´. Diana C. Moses untersucht auch, wie sich die Version der Lucretiageschichte des Livius von allen anderen Versionen dieser Geschichte unterscheidet, die uns aus antiken Schriftquellen bekannt sind. Sie weist nach, dass die Version des Livius die (erfolglosen) augusteischen Ehegesetze (28 v. Chr.) reflektiert, die zu eben der Zeit in Rom diskutiert worden ist, als Livius den 1. Band seines Geschichtswerkes verfasst hat (27-25 v. Chr.)29.


3.) kann man die antiken Schriftquellen, wie es der englische Althistoriker T. P. Wiseman getan hat, daraufhin prüfen, ob Rom tatsächlich von Anfang der Republik an von 2 Consuln regiert worden ist (wie es später üblich war): in der soeben referierten Fassung der Lucretiageschichte heißt es ja, Brutus, der die Tarquinier aus Rom vertrieb, und Collatinus, Lucretias Gatte, seien gemeinsam die ersten Consuln Roms gewesen. Dies war aber offenbar keineswegs der Fall. Es gab am Anfang der Republik nur einen einzigen obersten Magistraten, keine 2 Consuln, worauf ich später noch einmal eingehen werde. Das Konsulat war das höchste Amt, das die Republik zu vergeben hatte, wie im Falle aller übrigen Magistraturen wurden die beiden Consuln im Regelfall für 1 Kalenderjahr gewählt.


Folglich kann, falls Brutus tatsächlich dieser oberste Magistrat im 1. Jahr der römischen Republik gewesen sein sollte, Tarquinius Collatinus nicht historisch sein, denn welches Amt sollte er bekleidet haben ? Und wenn Collatinus nicht historisch ist, dann natürlich ebensowenig seine Gattin Lucretia. Es besteht im Übrigen keinerlei Veranlassung, Brutus für historisch zu halten. Nimmt man alle Versionen der Lucretiageschichte zusammen, dann haben im 1. Jahr der römischen Republik sogar insgesamt 5 verschiedene Consuln ihr Amt angetreten, wobei die für diesen häufigen Wechsel angeführten Gründe, insgesamt betrachtet, sehr unglaubwürdig klingen.


Erklären kann man dieses `Gedränge´ von so vielen Vertretern einflußreicher Adelsfamilien um das Konsulat in diesem ersten Jahr der Republik damit, dass die Römer erst ab ca. 300 v. Chr. damit begonnen haben, ihre eigene Geschichte zeitnah aufzuschreiben. Dieses `Geschichtsvakuum´ wurde irgendwann einmal entdeckt und eröffnete die Möglichkeit, die Geschehnisse des Zeitraums von 510 / 509 bis ca. 300 v. Chr. im Nachhinein kreativ zu `gestalten´. Dies haben die jeweils führenden Adelsfamilien offenbar in ihrem Sinne getan, z. B. die Iunii und die Lucretii, die mit den angeblichen Vorfahren Lucius Iunius Brutus und Lucretia die Bedeutungen ihrer Familien nachträglich `aufwerteten´. Die Aufsätze, in denen T.P. Wiseman diese Vorgänge analysiert hat, sind in der Literaturliste genannt30. Auch unter diesem Aspekt betrachtet erweist sich die Lucretiageschichte als ausgesprochen typisch für den gesamten Zeitraum der Republik, dem wir uns in dieser Vorlesung widmen wollen.


4.) kann man die Lucretiageschichte wie die österreichische Etruskologin Sybille Haynes betrachten, der ich hier gefolgt bin. Sybille Haynes hat sich mit den darin wiedergegebenen Klischees `etruskisches´ versus `römisches´ Verhalten auseinandergesetzt, wobei das darin geschilderte `typisch etruskische´ Verhalten im Übrigen (von den Römern) dafür verantwortlich gemacht wurde, dass die Etrusker schließlich politisch von ihnen entmachtet worden sind31. Ich meine die abendlichen Beschäftigungen der Ehefrauen, die wir in der Lucretiageschichte kennenlernen: die `etruskischen´ Schwiegertöchtern des Tarquinius Superbus in Rom einerseits, und die `römische´ Lucretia in Collatia andererseits. Die ersteren vergnügen sich bei Gelage und Spiel mit ihren Gästen, die letztere sitzt mit ihren Mägden zusammen und spinnt Wolle, und wird somit von Livius als die mustergültige römische Gattin hingestellt, genau so, wie sich Octavian / Augustus die Damen der Oberschicht, das heißt der senatorischen Klassse, seiner Zeit gewünscht hätte. Zumindest hat er von seiner eigenen Frau Livia, seiner Tochter Iulia und seinen Enkelinnen verlangt, dass sie Wolle spannen und trug angeblich nur Kleidung, die von den Damen seiner Familie selbst hergestellt worden war (Sueton, Augustus 64, 2; 73, 1)32 (!).


Dies klingt aus heutiger Sicht auf den ersten Blick unfreiwillig komisch, hat jedoch einen sehr ernstzunehmenden Hintergrund. Zum einen war das Thema Ehebruch sowohl in der gesellschaftlichen Realität zur Zeit des Livius, als auch in der zeitgenössischen juristischen Fachliteratur ein sehr brisantes Thema. Dass das Thema Ehebruch auch in den Komödien der Zeit im Vordergrund stand33, beweist ebenfalls die Bedeutung dieses Problems. Im Laufe des Bürgerkrieges war es zu zahlreichen Vergewaltigungen gekommen, bei deren Diskussion in der Öffentlichkeit und vor Gericht genau die Frage im Vordergrund stand, welche die Lucretiageschichte in dichterischer Form stellt: betrügen die daheimgebliebenen Ehefrauen ihre in den Krieg gezogenen Ehemänner freiwillig oder nicht ?


Die Lucretiageschichte hat trotz ihrer hellenistischen `Zutaten´ nach Ansicht von Diana C. Moses einen älteren Kern, eine Behauptung, die nichts darüber aussagt, ob das darin geschilderte Geschehen - abgesehen davon, dass einige der darin erscheinenden Personen historisch sind - auf einer wahren Gegebenheit basiert oder nicht. Si non è vero, è ben trovato, `wenn es nicht wahr ist, ist es (zumindest) gut erfunden´, könnte man also vor dem Hintergrund der Geschehnisse des Bürgerkrieges der späten Republik mit einem italienischen Sprichwort salopp formulieren. Wie bereits gesagt, hält T.P. Wiseman noch sehr viel weniger Details der Lucretiageschichte für historisch als Diana C. Moses. Dennoch macht es Sinn, dass wir uns mit der Lucretiageschichte zu befassen, aber nicht etwa deshalb, weil sie uns historische Fakten zum Jahr 510 / 509 v. Chr. beschert, sondern weil dieses immer wieder umgeformte Konglomerat von märchenhaften Motiven Generationen von Römern als Ersatz für eine seriöse Berichterstattung zu einem der wichtigen Momente ihrer Geschichte, der Entstehung ihrer Republik, gedient hat.


Da es sich demnach bei der Lucretiageschichte nicht um eine historische Begebenheit, sondern um pure Erfindung handelt, kann man sagen, dass der Vergleich zwischen den Schwiegertöchtern des Tarquinius Superbus und der Lucretia auch deshalb gut gewählt ist, weil Lucretia den anderen Damen gesellschaftlich durchaus ebenbürtig ist. Das heißt, sie ist keinesfalls verpflichtet, selbst zu `arbeiten´ - was ihren Fleiß umso bemerkenswerter macht.


Obwohl es zahlreiche in Rom aufgeführte Bühnenstücke gab, in denen die Lucretiageschichte thematisiert wurde, sind keine antiken Darstellungen zu diesem Thema bekannt - zumindest haben sich keine erhalten.


Seit dem Mittelalter und besonders in der Renaissance gibt es dann wieder Dichter, die sich mit Lucretia beschäftigen, und vor allem Maler.


3. Dia

Tizian (Tiziano Vecellio), Gemälde: "Tarquinius und Lucretia" (1571)

Cambridge (Mass.), Fitzwilliam Museum


Dieses Bild des venezianischen Renaissancemalers Tizian gilt als ein Auftragswerk König Philipp II. von Spanien. Ich habe es ausgewählt, weil Tizian dieses Thema in einer ganz eigenständigen Ikonographie behandelt. Lucas Cranach und eine Reihe von weiteren Renaissancemalern erweisen sich diesbezüglich als ziemlich einfallslos. Bei ihnen steht Lucretia bildparallel vor dem Betrachter, der gezückte Dolch in ihrer Hand zeigt an, dass sie sich das Leben nehmen will: diesen Malern dient das Thema Lucretia als Vorwand, eine schöne junge Frau als Halbakt darzustellen, dabei folgen sie dem Schönheitsideal ihrer eigenen Zeit. Es ist denkbar, dass diese Künstler der Auffassung des augusteischen Dichters Ovid (fast. 2,721-852) gefolgt sind, nach dem Lucretia ein Opfer ihrer Schönheit geworden sei34, während sie ja bei Livius, wie wir sahen, als ein Opfer ihrer (ungewöhnlichen) Sittsamkeit erscheint.


Tizian zeigt auf seinem Lucretiabild wesentlich mehr als nur eine hüllenlose schöne Frau seiner Zeit, die bei ihm sogar eine komplette Aktfigur ist. Wir blicken in Lucretias Schlafzimmer, in das soeben Sextus Tarquinius, einen Dolch in der Hand, hereingestürmt ist, der bereits ein Knie auf ihr Bett setzt. Lucretia glaubt, der Eindringling wolle sie erstechen und wehrt ihn ab. Dass Lucretia völlig unrealistisch splitterfasernackt im Bett gelegen haben muss, ehe Tarquinius hereinkam, nehmen wir dabei im ersten Moment wie eine Selbstverständlichkeit hin, und es gelingt Tizian, uns von der realen Morddrohung zu überzeugen, die Tarquinius ausspricht, um sich Lucretia gefügig zu machen. Ähnlich wie bei Livius steht demnach auch bei Tizian das Thema Vergewaltigung im Vordergrund, doch im Gegensatz zu Livius ergreift Tizian Partei für seine Heroine, indem er ihre Situation als lebensbedrohlich schildert.


Interessanterweise integriert Tizian einen heimlichen Beobachter in sein Bild, der am linken Bildrand die schwere Draperie lüftet. Dies fügt dem Ganzen eine Ebene zu, welche in den uns bekannten antiken Fassungen der Lucretiageschichte fehlt.


4. Dia - Photo

S. STEINGRÄBER 1985

S. 327, Nr. 81, Abb. 105, Tomba dei Leopardi (Tarquinia).

Etruskisches Kammergrab mit Satteldach

Dat.: "gegen 480/70" v. Chr.


Ich zeige Ihnen auf diesem Dia eine Photographie eines etruskischen Kammergrabes, der sogenannten Tomba dei Leopardi (`Grab der Leoparden´) in Tarquinia. Dieses Grab befindet sich in einer Nekropole außerhalb der modernen Stadt Tarquinia. Es ist in den anstehenden Tuff eingetieft und anschließend ausgemalt worden. Ich habe es 1975 zum 1. Mal gesehen und fand es sehr eindrucksvoll, wobei uns Teilnehmern einer Etrurien-Exkursion der Universität zu Köln damals schon gesagt wurde, dass, um diese etruskischen Malereien vor dem ansonsten sicheren Verfall zu schützen, der Zugang zu diesen Gräbern eigentlich untersagt werden müsste. Andererseits gibt es natürlich auch ein berechtigtes Interesse der Allgemeinheit, derartig bedeutende Zeugnisse der etruskischen Kultur persönlich kennenlernen zu wollen. Sie werden noch sehr häufig während Ihres Archäologiestudiums erfahren, wie schwierig es manchmal ist, sich zwischen diesen konträren Interessen zu entscheiden, eine Aufgabe, der sich viele Archäologen stellen müssen, die in der Bodendenkmalpflege oder in Museen tätig sind. Ein Beispiel hierzu soll genügen.


Im Archäologischen Museum von Tarquinia sind im Dachgeschoß Objekte ausgestellt, die auf den ersten Blick wie Zelte wirken. Es handelt sich um Rekonstruktionen ausgemalter etruskischen Kammergräber im Maßstab 1: 1, deren Wände aus Stoffbahnen bestehen35. Wenn man diese `Gräber´ betritt, erkennt man auf der Innenseite der Stoffbahnen originale etruskische Wandmalereien, die man von den Wänden der Gräber abgenommen, und auf diese Leinwände übertragen hat. Die Wirkung dieser rekonstruierten Kammergräber ist bizarr, schon allein deshalb, weil diese Malereien, die sich vormals unter der Erde auf Felswänden befanden, nun plötzlich auf beweglichen Stoffbahnen kleben und auf einen Dachboden versetzt sind. Zweifellos wäre es nicht gelungen, diese Malereien in den Gräbern noch über einen längeren Zeitraum erhalten zu können. Weshalb die zuständigen Archäologen, die sich aus konservatorischen Gründen dazu entschlossen hatten diese Malereien abzunehmen, überzeugt waren, eine gute Möglichkeit gefunden zu haben, sie nicht nur für zukünftige Generationen zu bewahren, sondern sie für die Allgemeinheit zugänglich zu machen. Neben der seltsamen Gesamtwirkung dieser Rekonstruktionen kommt leider hinzu, dass trotz dieses aufwändigen Verfahrens das Verblassen der Malereien nicht verhindert werden konnte.


Sybille Haynes36 hat in dem Aufsatz, den ich Ihnen in der Literaturliste genannt habe, zur Illustration des Gelages der Schwiegertöchter des Tarquinius Superbus in Rom, das in der Lucretiageschichte geschildert wird, u.a. diese Szene in der Tomba dei Leopardi als Beispiel genannt. In der Fassung der Lucretiageschichte des Livius hat dieses Gelage der `Etruskerinnen´ zur Folge, dass nicht sie den Preis zuerkannt bekommen, die `besten Ehefrauen´ zu sein, das heißt, bei Livius wird ihr abendliches Gelage negativ beurteilt. Wie wir selbst ihr Tun beurteilen sei dahingestellt - immerhin befinden sich die Ehemänner dieser Frauen ja zumindest theoretisch im Kriegseinsatz (!).


Ob die Ehefrauen der Söhne des Tarquinius Superbus tatsächlich Etruskerinnen waren, wissen wir nicht, und da Livius die Damen nicht einzeln namentlich aufführt, hat ihn dies wohl selbst auch nicht sonderlich interessiert. Das Bild der Tomba dei Leopardi, das ich Ihnen hier zeige, ist meines Erachtens sehr gut von Sybille Haynes als Illustration dieser Passage von Livius' Lucretiageschichte gewählt worden, obwohl ihre Datierung dieses Grabes an das Ende des 6. Jhs. v. Chr. - das heißt in genau jene Zeit, in der die Lucretiageschichte spielt - von anderen Autoren nicht bestätigt wird. Stephan Steingräber, nach dessen Buch zur etruskischen Wandmalerei wir das Dia angefertigt haben, datiert das Grab ca. 480 / 70 v. Chr.37


Das Lebensgefühl der etruskischen Adelsgesellschaft wird in dieser Wandmalerei der Tomba dei Leopardi aber bestens eingefangen, und das ist es offenbar, was Sybille Haynes gemeint hat. Im Gegensatz zur Beurteilung dieser Lebensweise durch Livius haben die Etrusker selbst, analog zu anderen antiken Adelsgesellschaften auch, derartige Darstellung selbstverständlich positiv gemeint.


Was ist auf dieser Wandmalerei aus der Tomba dei Leopardi dargestellt ? Ein Gelage, bei griechischen Darstellungen dieses Genres würde man von einem Symposion sprechen (lateinisch: Symposium), wobei viele Besonderheiten ähnlich, andere jedoch grundverschieden sind. Der erste Unterschied zwischen dem griechischen Symposion und den Gelagen bei den Etruskern besteht darin, dass uns zu den Gelagen der Etrusker die entsprechenden etruskischen literarischen Texte fehlen. Wir sind also in diesem speziellen, und in anderen ähnlichen Fällen auf die Darstellungen selbst angewiesen. Glücklicherweise war diese Wandmalerei zum Zeitpunkt ihrer photographischen Dokumentation noch vergleichsweise gut erhalten. Es gibt von einigen der sehr früh entdeckten ausgemalten etruskischen Kammergräber nur zeichnerische Dokumentationen (weil sie vor Erfindung der Photographie entdeckt worden sind), die es uns immerhin ermöglichen, auch in jenen Fällen Vergleiche mit besser erhaltenen Exemplaren zu ziehen, in denen die originalen Wandmalereien inzwischen verblasst oder sogar komplett zerstört sind. Ich habe Ihnen in der Literaturliste einen Ausstellungskatalog von Bernard Andreae und weiteren Autoren aus dem Jahre 2004 genannt, in dem Sie zahlreiche sehr qualitätvolle Zeichnungen nach etruskischen Wandmalereien finden können38. Auch von den Wandmalereien in der Tomba dei Leopardi gibt es derartige farbig angelegte Zeichnungen, die ich Ihnen nun zeigen werde, weil man auf ihnen mehr Details erkennen kann als auf dem hier wiedergegebenen Photo.


5. Dia - Zeichnung

Tarquinia, Tomba dei Leopardi, Gelage, 5. Jh. v. Chr.

F. PRAYON 2006, S. 42-43


Wir sehen auf der hier wiedergegebenen Wand des unterirdischen Kammergrabes der Tomba dei Leopardi eine Szene, die wie die Momentaufnahme eines wirklichen Geschehens wirkt. Da sind nebeneinander 3 Klinen aufgereiht, das heißt couchähnliche Möbel, auf denen jeweils zwei Personen lagern. Stellen wir uns vor, wir beträten dieses Grab, dann wären wir demnach - zumindest auf dieser Schmalseite des Kammergrabes - von einer Gesellschaft fröhlicher Zecher umgeben, zwischen deren Klinen Knaben39 umhergehen, welche die Gäste bedienen. In der Antike waren noch lange nach dem Ende der politischen Selbständigkeit Eturiens (88 v. Chr.40) etruskische Architekturen erhalten, die von Plinius dem Älteren beschrieben werden sollten, der sich für ihren Schmuck mit Wandmalerei interessiert hat. Wir kennen heutzutage derartige Beispiele der malereigeschmückten monumentalen etruskischen Architektur (öffentliche Gebäude und Tempel) nicht mehr, weshalb wir auf die Betrachtung der Wandmalerei in den etruskischen Gräbern angewiesen sind. Ähnlich wie wir das aus späterer Zeit von den Römern wissen, haben die Etrusker in den Wandmalereien ihrer Gräber sowohl Götter und Heroen als auch Menschen dargestellt, und nicht selten werden diese Figuren mit Hilfe von beigefügten Inschriften eindeutig identifiziert.


Hier dagegen, in der Tomba dei Leopardi, fehlen derartige Beischriften, weshalb man wohl zu Recht angenommen hat, dass mit dieser Malerei Menschen gemeint sind. Und zwar u. a. heterosexuelle Paare, wobei die Männer in der etruskischen Malerei regelmäßig mit dunklerer Hautfarbe charakterisiert werden, und die Frauen mit hellerer Hautfarbe. Demnach sehen wir links zwei auf einer Kline gelagerte Männer, und auf den Klinen in der Mitte und rechts jeweils einen Mann und eine Frau. Eine weitere Besonderheit dieser Gesellschaft besteht darin, dass alle 6 Teilnehmer des Gelages offenbar gleich alt sind. Die dargestellten heterosexuellen Paare sind außerdem als verheiratet zu denken, was bedeutet, dass die etruskischen Ehefrauen an den Gelagen ihrer Männer als gleichberechtigte Partner teilgenommen haben.


Leider ist die Malerei in der Tomba dei Leopardi nicht komplett erhalten, weshalb wir nicht wissen, ob es inhaltliche Bezüge der hier wiedergegebenen Darstellung zu allen anderen Wänden des Kammergrabes gab - nur ein Bruchteil der Malerei einer weiteren Wand kann diesbezüglich untersucht werden, die wir uns gleich ansehen werden.


Ehe wir das tun, möchte ich Sie noch auf einige Besonderheiten des hier wiedergegebenen Bildes hinweisen: das Wandgemälde hatte offenbar eine Sockelzone, die komplett zerstört ist, darüber folgt in einem fortlaufenden Fries der Blick in das Zimmer, in dem die 3 Klinen stehen, vor denen die beiden Mundschenken agieren. Interessanterweise dient den dargestellten Teilnehmern des Gelages ihre Kleidung gleichzeitig als Decke - dies trifft tatsächlich zu, zumindest war es bei den Römern so, dass sie ihre tagsüber getragene Toga in der Nacht als Decke benutzten41. Dass Tizian dies im Fall seines Lucretiagemäldes nicht beachtet hat, wollen wir ihm gerne nachsehen. Während wir den Mantel, den die dargestellten Männer tragen, nicht eindeutig benennen können, tragen die beiden Frauen ein Untergewand und einen Mantel, die man als Chiton und Himation identifizieren kann.


Über dem Gelagefries erscheinen in unserer Wandmalerei in einem dreieckigen Giebelfeld zwei blaue (!) Leoparden, die diesem Kammergrab den Namen gegeben haben. Die Form des in den gewachsenen Felsen geschlagenen Kammergrabes ist anhand der hier gezeigten Zeichnung einer Schmalseite dieser Kammer gut erkennbar: es handelt sich um einen rechteckigen Raum, über dem sich ein Satteldach befindet, und die moderne Forschung nimmt überzeugend an, dass derartige Kammergräber die gleichzeitigen etruskischen Wohnhäuser wiedergeben. Deshalb wird angenommen, dass derartige Gräber den darin bestatteten Toten als Wohnungen dienen sollten. Manche dieser Gräber wurden über Generationen benutzt und dienten als Begegnungsstätte zwischen den toten und lebenden Mitgliedern eines Clans, einer Gens. Weshalb die Frage zu entscheiden ist, ob hier ein Gelage der Hinterbliebenen dargestellt ist, die ja nachweislich regelmäßig an Gräbern stattgefunden haben, oder ob vielmehr die bereits Verstorbenen der Familie gezeigt sind, wobei sich Prof. Friedhelm Prayon, aus dessen Buch dieses Bild stammt42, für letzteres entscheidet. Für beide Annahmen, die sich ja gegenseitig ausschließen, fällt es schwer zu erklären, warum alle 6 Teilnehmer des Gelages gleich alt sind - im Übrigen kennen wir ja leider nicht alle Wandbilder dieses Grabes, weshalb die Deutung des hier gezeigten Bildes erschwert ist. Die Malerei der nach rechts hin anschließenden Langseite des Kammergrabes ist nur teilweise erhalten.


6. Dia - Zeichnung

Tarquinia, Tomba dei Leopardi, Musikanten, Tänzer, 5. Jh. v. Chr.

F. PRAYON 2006, S. 40-41


Die obere und untere Begrenzung des auf dieser Wand des Kammergrabes dargestellten Frieses entspricht exakt jenen des Gelagebildes, weshalb die beiden heute verlorenen Wandmalereien der beiden übrigen Seiten des Kammergrabes vermutlich in entsprechender Weise dekoriert gewesen sind. Ganz links auf dieser Wand erscheint ein junger Mann, der eine große, flache Trinkschale aus Metall herbeiträgt, er ist offenbar eilig zu den eben gezeigten Zechern unterwegs. Hinter ihm folgen noch mindestens drei Männer und eine Frau, wobei die ersten beiden Männer Musiker sind, der erste spielt einen Doppelaulos (2 Oboen), das heißt, ein zweistimmiges Blasinstrument, das wegen seiner angeblich orgiastischen Wirkung gern bei Symposien gespielt wurde, der zweite eine Lyra (Leier).


7. Dia - Zeichnung - WIEDERHOLUNG

Tarquinia, Tomba dei Leopardi, Gelage, 5. Jh. v. Chr.

F. PRAYON 2006, S. 42-43


Die beiden soeben betrachteten Wände zusammen betrachtend, ergibt sich, dass von den 6 Gästen des Gelages scheinbar erst der Mann auf der Kline ganz rechts im Besitz einer Weinschale ist, eine zweite Schale, die noch wesentlich größer ist, wird, wie wir auf dem vorigen Bild sahen, soeben von rechts herbeigetragen. Da der linke Mundschenk jedoch soeben dem Mann in der Mitte ein Sieb43 reicht, muss dieser in seiner linken Hand ebenfalls eine Weinschale gehalten haben - die Zeichnung stellt an dieser Stelle vermutlich eine irrtümliche Ergänzung dar. Die dritte, besonders große Weinschale wird demnach offenbar zu einem der beiden Männer auf der linken Kline getragen - oder müssen wir uns vorstellen, dass die beiden Personen, die zusammen auf einer Kline liegen, jeweils aus derselben Schale trinken ?


Dass der Mundschenk dem Mann in der Mitte ein Sieb reicht, ist durchaus berechtigt: wir wissen, dass man in der Antike den Wein auf die verschiedensten Weisen haltbar machen musste, wobei die Beifügung von Harz auch im heutigen Griechenland noch üblich ist (Retsina), auch mit Meerwasser und Kräutern hat man es versucht, weshalb man den Wein, wie hier dargestellt, vor dem Genuss durch ein Sieb gegossen hat.


Dass das Gelage bereits im vollen Gang ist, beweist im Übrigen die Tatsache, dass alle Anwesenden - einschließlich der Mundschenken und Musiker, bereits bekränzt sind - ein Ritual, das, ebenso wie das Trankopfer an die Götter, zu Beginn eines Symposions vollzogen wurde. Einer dieser Kränze ist allerdings übrig geblieben, den hält nun der 2. Mann von links in der Hand, wobei er sich mit dem Mann, der mit ihm auf der Kline liegt, über diesen Kranz oder über die Person, welcher der Kranz zugedacht war, unterhält - ist ein Gast vielleicht noch nicht erschienen ? - auf der links anschließenden anderen Längswand des Kammergrabes setzte sich die Darstellung des Gelages vielleicht noch fort (?). Oder wird mit dieser Szene der vor dieser Wandmalerei stehende Nachfahre angesprochen, der auf diese Weise erfährt, in Zukunft ebenfalls an diesem ewigen Gelage im Jenseits teilnehmen zu dürfen ?

Wie bereits gesagt, ist das Besondere bei den Etruskern, und deshalb auch auf diesem Gelagebild, dass die Ehefrauen von zwei der dargestellten Männer mit diesen auf derselben Kline lagern und somit gleichberechtigt an der Zecherei teilnehmen. Erinnern wir uns an das negativ gemeinte Beispiel der entsprechenden Passage der Lucretiageschichte des Livius, hier führen die `etruskischen´ Schwiegertöchter des Tarquinius Superbus sogar Gelage ohne ihre Ehemänner durch (!). Im Übrigen erwähnt Livius, dass sich die Teilnehmer des von ihm geschilderten Gelages mit Gesellschaftsspielen vergnügten. Gesellschaftsspiele haben auch zum griechischen Symposien gehört, ferner traten dabei Musiker, Tänzer oder Gaukler auf, oder es gab Vorträge (Gesänge) von Dichtern Mit dem eklatanten Unterschied, dass bei griechischen Symposien die Ehefrauen der beteiligten Männer ausgeschlossen waren.


Frauen nahmen auch an den griechischen Symposien teil, bei ihnen handelte es sich jedoch ausschließlich um Hetären, das heißt, um Prostituierte, mit denen die Symposiasten, das heißt die Teilnehmer des Symposions, nicht nur Geschlechtsverkehr trieben, sondern denen sie nicht selten Gewalt antaten. Beim griechischen Symposion spielte überdies das Ritual des Weintrinken selbst eine besondere Rolle, so wurden die Modalitäten des Trinkens in allen erdenklichen Details vor seinem Beginn festgelegt. Da das Trinken von ungemischtem Wein (ohne Wasser) bei den Griechen als ausgesprochen barbarisch verpönt war - als Barbaren galten den Griechen alle nicht-griechischen, als `unzivilisiert´ verstandenen Völker - wurde vor jedem Symposion festgelegt, welche Anteile Wein und Wasser das zu genießende Getränk haben sollten. Zur Herstellung dieser ihrer `Weinschorle´ stellten die Griechen sogenannte Mischgefäße her, Krater genannt, in denen der Wein nach der beschlossenen Vorschrift mit Wasser verdünnt wurde. Alle diese Vorschriften, z.B. auch die Gefäßgröße, aus der getrunken werden sollte, Straftrinken usw. legte der Leiter des jeweiligen Symposiums, der Symposiarch, fest, der vor dem Beginn des Gelages gewählt wurde.


Der Symposiarch übernahm es auch, das Thema zu benennen, um das es bei den gemeinsamen Unterhaltungen gehen sollte. Da man sich bei einer Gesellschaft erfahrungsgemäß nicht mit vielen Personen gleichzeitig unterhalten kann, gab es genaue Vorstellungen davon, wie viele Personen man idealerweise zu einem Symposion einladen sollte, um ein gelungenes Gespräch zu ermöglichen. Bei den Schilderungen von Symposien in der griechischen Literatur werden die Inhalte dieser Gespräche dann auch detailliert wiedergegeben. Eine weitere bedeutende Quelle zum griechischen Symposion stellen griechische Vasenbilder dar.


Griechische Trinkschalen und Kratere mit Symposions-Thematik wurden auch in großer Anzahl von Etruskern erworben, in deren Gräbern man sie gefunden hat, und die man daher anfangs (irrtümlicherweise) für in Etrurien gefertigt hielt. Man hat sogar vermutet, dass Darstellungen wie das hier gezeigte etruskische Gelage zwar durchaus reale Zechereien wiedergeben, dass jedoch die Etrusker nur deshalb derartige Szenen in der eigenen Kunst dargestellt hätten, weil ihnen die entsprechenden griechischen Gefäße so gut gefielen44 (!).


Dass sich natürlich auch die Etrusker während ihrer Gelage unterhalten haben, sieht man sehr deutlich an den lebhaften Gesten der 6 Teilnehmer des Gelages der Tomba dei Leopardi, die sowohl miteinander, als auch mit dem rechten Mundschenken sprechen, der offenbar soeben eine Bestellung aufnimmt. Dabei sind die Lippen der Dargestellten merkwürdigerweise nicht zum Sprechen geöffnet. Hierbei handelt es sich um eine Darstellungskonvention, die, wie wir aus dem Vortrag von Frau Dr. Nadia Koch letzte Woche gelernt haben, auch die gleichzeitige griechische Kunst charakterisiert hat.


Die Römer entsprechender Gesellschaftsschichten luden ihre Gäste ein, das Abendessen mit ihnen im Triclinium ihres Hauses einzunehmen, in diesem Raum standen, wie sein Name sagt, 3 Klinen. Auf jeder dieser Klinen konnten bis zu drei Personen lagern, und die Ehefrau des Gastgebers und die Ehefrauen der Gäste nahmen selbstverständlich ebenfalls teil. Begüterte Römer besaßen häufig Gärten, in denen sich unter einer weinlaubumrankten Pergola ein fest installiertes Triclinium aus Mauerwerk befinden konnte - wir werden uns das alles noch im Detail anschauen45. Bei den Gelagen der Römer wurde natürlich gleichfalls Wein gereicht, und die Unterhaltung kam auch nicht zu kurz. Die drei Klinen, auf denen bei den Römern die Gäste lagen, konnten so angeordnet sein, dass die Gäste einer deutlichen Hierarchie unterworfen wurden.


Nicht so auf unserer Wandmalerei der etruskischen Tomba dei Leopardi, wir erkennen weder, ob einer der dargestellten Männer der sogenannte Grabherr ist, das heißt, der Mann, der hier mit seiner Familie bestattet war, noch erkennen wir, wer das Gelage leitet, noch gibt es einen deutlich als solchen hervorgehobenen Ehrengast. Statt dessen sind alle Gäste bei diesem Gelage offenbar gleich willkommen. Außerdem wird niemandem der anwesenden Personen Gewalt angetan, obwohl einige die Teilnehmer des Gelages vom Wein vielleicht bereits ein wenig angeheitert sind.


Es scheint naheliegend zu sein, dass der Grabherr der Tomba dei Leopardi - oder war es eine Frau ? - sich wünschte, im Jenseits ein ewig andauerndes Gelage inmitten seiner/ ihrer Freunde zu erleben. Im Übrigen lässt sich anhand dieser Wandmalerei der Tomba dei Leopardi eine weitere, in antiken Schriftquellen verbürgte Besonderheit der Etrusker ablesen. Sie hatten nämlich im Unterschied zu anderen antiken Völkern keine Angst vor dem Tode, weil sie sich ihre Existenz danach als sehr positiv vorstellten: die Etrusker glaubten nämlich, dass ihre Seelen nach dem Tode einen gottähnlichen Zustand erreichen konnten - die Voraussetzung hierzu war, den Unterweltsgottheiten (den chthonischen Gottheiten) das Blut entsprechender Tiere zu opfern46. Man möchte meinen, dass diese Zuversicht, im Jenseits einen gottähnlichen Zustand zu erreichen, auch aus der hier gezeigten Grabmalerei spricht.


Bedenkt man, dass derartige Kammergräber über lange Zeiträume für die Hinterbliebenen der hier bestatteten Mitglieder einer Gens zugänglich gewesen sind, dann fällt bei der Gestaltung dieser Wandmalerei etwas auf: die Besucher des Grabes können sich buchstäblich wie `umgeben´ von ihren Vorfahren fühlen, diese kommunizieren auch `wie im diesseitigen Leben´ miteinander, aber sie blicken nicht aus dem Bild `heraus´ auf die `vor´ ihnen stehenden Nachfahren. Wir werden noch sehen, dass es derartige Kommunikationen durchaus gegeben hat.


Dass wir uns in dieser Vorlesung mit diesen Dingen beschäftigen ist deshalb notwendig, weil nicht nur der Beginn der römischen Republik, sonders die gesamte römische Kultur sehr deutlich von etruskischen Einflüssen geprägt waren, was u. a. mit dem Wirken der drei hier behandelten etruskischen Königen - Tarquinius Priscus, Servius Tullius und Tarquinius Superbus - erklärt werden kann.

8. Dia - Photo - WIEDERHOLUNG

S. STEINGRÄBER 1985

S. 327, Nr. 81, Abb. 105, Tomba dei Leopardi (Tarquinia).


Am Beispiel der Tomba dei Leopardi wenden wir uns nun den bei derartigen etruskischen Wandmalereien verwendeten Stilmitteln zu. Wie bereits erwähnt, besitzen wir keinerlei literarische oder historiographische Texte der Etrusker, und somit auch keine Quellen, die uns das Wirken jenes Bakchiaden Demaratus aus etruskischer Sicht schildern würden, der nach dem Umsturz des Kypselos in Korinth von dort nach Tarquinia auswanderte, und von dem die antiken Schriftquellen einmütig behaupten, er habe die etruskische Kunst seiner Zeit in bedeutendem Umfang griechisch beeinflusst. Mit dem Wirken des Demaratos erklärt z. B. Plinius der Ältere (nat. hist. 35, 152), dass es in Italien seit der Mitte des 7. Jhs. v. Chr. Tempel mit terrakottengeschmückten Dächern gab47. Dabei geht die Forschung davon aus, dass diese Tempelform ihrerseits von entsprechenden etruskischen Wohnhäusern mit Satteldach abgeleitet worden sei - und genau so ein Wohnhaus haben wir im hier betrachteten Kammergrab Tomba dei Leopardi - gleichsam in Architekturkopie - vor uns. Ich sagte Ihnen ja bereits, dass diese unterirdische, in den Felsen geschlagene Kammer, wie ihre Rechteckform und ihr Giebel anzeigen, das Innere eines Wohnhauses imitiert. Häuser dieses Typs hatten Terrakottadächer, was man auf dem hier gezeigten Bild auch der wiedergegebenen Dachkonstruktion ablesen kann, die anstelle eines schmalen Firstes einen breiten Balken (Columen) aufweist. Zuvor, ehe dieser neue Haustyp in Etrurien aufkam, hatten die Etrusker vorzugsweise Wohnhäuser mit Walmdächern gebaut, und diese mit dem sehr viel preiswerteren Stroh gedeckt48.


Nancy A. Winter beschreibt den soeben skizzierten Prozeß im Detail und illustriert ihn anhand von Hausurnen der Villanovazeit: im 9. und 8. Jh. sind die dargestellten Hütten oval und mit Walmdächern gedeckt, während es bereits in der 2. Hälfte des 7. Jhs. v. Chr. Hausurnen49 aus Cerveteri gibt, welche rechteckige Häuser mit Ziegeldächern wiedergeben50.


Bei der Betrachtung der Stilmittel der etruskischen Malerei müssen wir uns also, in Ermangelung einschlägiger etruskischer Literatur, wiederum mit einem Bericht des älteren Plinius begnügen, den der italienische Archäologe Francesco Roncalli51 wie folgt kommentiert hat - Plinius wurde im Jahre 23/24 n. Chr. in Novum Comum (Como) geboren und starb beim Vesuvausbruch am 24. August 79 n. Chr.


Francesco Roncalli schreibt: "Die einzige uns von den antiken Schriftstellern überlieferte Notiz über etruskische Malereien findet sich bei Plinius dem Älteren und bezieht sich nicht auf die Grabmalerei [seine Anm. 1]. Er berichtet uns von der Perfektion, die die Kunst der Malerei auch in Italien nunmehr erreicht hatte, zur Zeit der Flucht des Demaratos aus Korinth, Vater des etruskisch-römischen Königs Tarquinius Priscus. Unter `Perfektion´ versteht er [Plinius] - wie der unmittelbar vorangehende Passus erklärt - die kontextuelle Anwendung von drei `Errungenschaften´ (welche die von ihm verwendeten Quellen und er selbst nur als nacheinander folgende und klar voneinander unterschiedene Erfindungen ansehen): Die Umrißlinie ... die Binnenzeichnung innerhalb der Figuren ... und homogene [rote] Farbgrundierungen .... Die Aneignung einer Malerei in Etrurien während des letzten Viertels des 7. Jhs. [v. Chr.] (am Übergang der Generation des Demaratos zu der des Tarquinius [Priscus]), die eben jene äußerlichen Charakteristiken besaß wie `tragende´ Umrißlinie, beschreibenden und linearen Charakter bezüglich der Binnendetails, Monochromatik und eindeutiges Vorherrschen der ziegelroten Farbe ... , wird voll und ganz [anhand der ausgegrabenen Beispiele der etruskischen Wandmalerei in Gräbern] bestätigt wie auch die Richtigkeit jener Nachrichten, auf die Plinius bei der Nennung der am meisten akkreditierten Ursprungsorte der Malerei im allgemeinen zurückgreift. Diese können wir zweifelsohne als Ursprungsorte jener Malerei verstehen, die für die etruskische Welt ausschlaggebend war: Korinth und Sikyon, deren Einfluß auf die etruskische Kunst und besonders unmittelbar auf die etruskische Malerei gerade zwischen dem dritten und dem letzten Viertel des 7. Jhs. vorherrschte".


Roncalli selbst bildet zu der Beschreibung etruskischer Malerei durch den älteren Plinius natürlich nicht das hier gezeigte Detail aus dem ausgemalten Kammergrab der Tomba dei Leopardi in Tarquinia ab, denn hierbei handelt es sich ja um ein Beispiel der Grabmalerei, während Plinius monumentale Wandmalereien vor Augen hatte, die zu seiner Zeit noch in den Städten Ardea, Lanuvio und Caere (Cerveteri) erhalten und zugänglich waren. Außerdem ist das hier gezeigte Kammergrab in Tarquinia später entstanden als jene ersten monumentalen etruskischen Malereien, deren neue Stilmittel von Plinius mit dem Wirken des Demaratos aus Korinth in der Stadt Tarquinia erklärt hat. Dennoch zeichnet sich unsere hier betrachtete Wandmalerei durch genau diese Stilmittel aus. Und was das bemerkenswerteste am Urteil des Plinius ist: der moderne Experte der etruskischen Malerei Francesco Roncalli bestätigt, dass der Beginn dieser Malerei in Etrurien nicht nur in jene Zeit des Exils des Demaratos in Tarquinia bzw. in die Lebenszeit seines Sohnes Tarquinius (Priscus) fällt, sondern dass aus heutiger Sicht die etruskische Malerei dieser Zeit hauptsächlich von den griechischen Kunstzentren Korinth und Sikyon geprägt worden war. Roncalli beschäftigt sich in seinem Aufsatz über die etruskische Malerei außerdem mit deren Verhältnis zu den farbig gefassten Architekturterrakotten der Etrusker. Mit diesen wurden ihre Tempel dekoriert, die wir uns später ansehen werden.


Zunächst wenden wir uns aber den anderen Beispielen zu, die Sybille Haynes in ihrer Gegenüberstellung der Klischees `typisch etruskisches´ versus `typisch römisches´ Verhalten am Beispiel der Lucretiageschichte in der Fassung des Livius zusammengestellt hat. Dass die Etruskerinnen zusammen mit ihren Ehemännern an Gelagen teilnahmen, zeigt auch die etruskische Sepulkralplastik. Besonders berühmt sind zwei Tonsarkophage aus Caere (Cerveteri), die Klinen darstellen, auf denen jeweils ein Ehepaar lagert. Wie erwähnt, gab es auch Etrusker, die ihre Toten verbrannt, und deren Überreste dann in Aschenurnen beigesetzt haben, wobei in einigen Fällen diese Urnen gleichfalls als Klinen mit darauf lagernden Ehepaaren gebildet sind52.


9. Dia

Tonsarkophag eines Ehepaars aus Cerveteri, Paris, Louvre - GESAMTANSICHT

M. TORELLI 2000, 130

Ende 6. Jh. v. Chr.


Zu den künstlerisch herausragendsten Leistungen der Etrusker gehören dieser Sarkophag und ein sehr ähnliches Stück aus farbig gefasster Terrakotta. Diese Tonplastiken sind hohl und bestehen aus der Sarkophagwanne, welche die Form einer Kline besitzt, und einem Deckel, auf dem ein Ehepaar lagert. Aus technischen Gründen musste die Kline/ Sarkophagwanne nach der Fertigung in der Mitte durchgeschnitten, und in zwei Teilen gebrannt werden. Die heute den Gesamteindruck störende Lücke zwischen beiden Teilstücken war ursprünglich vermutlich gar nicht sichtbar. Sie müssen sich das Ganze in der Realität so vorstellen, dass das auf der Kline wiedergegebene Paar in diesem Sarkophag bestattet worden ist, und dass dieser Sarkophag in einem Kammergrab stand. Das dargestellte Sujet kennen wir ja bereits vom Bild des Gelages in der Tomba dei Leopardi. Doch es gibt ein paar wichtige Unterschiede: dieser Sarkophag entstammt einer früheren Zeit, der Archaik, was man deutlich an den sorgfältig frisierten archaischen Frisuren beider Partner erkennen kann, die auf Grund der zahlreichen, regelmäßig eingedrehten Locken perückenhaft wirken, sowie an der Barttracht des Mannes.


Diese Darstellung eines Ehepaares ist in jener Zeit entstanden, in der die Lucretiageschichte spielt. Leider wissen wir nichts über den Aufstellungszusammenhang dieses Sarkophages innerhalb des Grabes, aus dem er stammt. Doch im Unterschied zu den 6 Teilnehmern des Gelages der Tomba dei Leopardi scheint es nicht nur so zu sein, dass die beiden Eheleute sich miteinander unterhalten, sondern dass sie sich auch, oder vielleicht sogar ausschließlich, an die vor ihnen stehenden Menschen wenden - und das können eigentlich nur ihre Nachfahren sein, da andere Personen keinen Zugang zu ihrem Grab haben konnten. Andererseits war dieser Sarkophag aber vielleicht auch zu anderen Sarkophagen in demselben Grab in Beziehung gesetzt, was bedeuten würde, dass sich das hier dargestellte Paar mit anderen bereits Verstorbenen ihrer Gens bei einem jenseitigen Gelage unterhält - wir wissen es leider nicht. Wieder ist es so, wie schon bei den Teilnehmern des Gelages der Tomba dei Leopardi, dass die beiden Personen mit den Händen gestikulieren, und ganz offensichtlich beide sprechen, ihre Münder jedoch geschlossen bleiben.


10. Dia

Tonsarkophag aus Cerveteri - KOPF DER FRAU

Paris Louvre

M. TORELLI 2000, 132

Ende 6. Jh. v. Chr.


Das Detail des Kopfes der Frau von diesem Tonsarkophag lässt uns weitere Besonderheiten dieser Plastik erkennen: die Mundwinkel der Frau sind hochgezogen, hierbei handelt es sich um das sog. archaische Lächeln, außerdem zeigt diese Photographie deutlich, dass diese Terrakottaplastik farbig gefasst ist. Das Haar der Frau ist von einer eng anliegenden Kappe (?) bedeckt, was sie ebenfalls von den Teilnehmerinnen des Gelages der Tomba dei Leopardi unterscheidet, die lediglich, ebenso wie alle Männer dieses Bildes, bekränzt sind.


11. Dia

Tonsarkophag eines Ehepaars aus Cerveteri (Detail),

Rom, Museo di Villa Giulia

M. TORELLI 2000, 24, Ende 6. Jh. v. Chr.

Ein dem Tonsarkophag eines Ehepaars aus Cerveteri im Louvre verblüffend ähnliches Stück befindet sich in Rom im Museo di Villa Giulia, dem Nationalmuseum für Etruskische Kunst in Rom. Diese Tonplastik ist im Original noch wesentlich eindrucksvoller als das soeben gezeigte Stück im Louvre. Dabei ist die Präsenz der beiden Dargestellten so unmittelbar, dass man zunächst meint, ikonographische Portraits vor sich zu haben. Spezialisten haben jedoch festgestellt, dass beide Tonplastiken unter Verwendung derselben Matrize53 angefertigt worden sind, und da beide Ehepaare in diesen Sarkophagen bestattet waren, kann es sich bei den so überaus ähnlichen Figuren, die auf den Deckeln dieser Sarkophage lagern, natürlich nicht um ikonographische Portraits dieser 4 Personen handeln. Im Übrigen sind ikonographische Portraits in der Zeit als diese Tonplastiken entstanden sind auch gar nicht zu erwarten.


Dieses Paar scheint in wunderbarer Harmonie zusammenzuleben, und von der Art, wie die beiden den Betrachter ansprechen, geht ein eigenartiger Zauber aus, dem man sich nicht entziehen kann. Auch das, was sie ihren Nachfahren - und nun uns - mitzuteilen haben, scheint sehr positiv zu sein. Wie bereits an den 6 Teilnehmern des Gelages der Tomba dei Leopardi beobachtet, sind auch diese beiden Verstorbenen jung und idealisiert wiedergegeben, in hellenistischer Zeit sind die Darstellungen von Ehepaaren, die auf den Deckeln von etruskischen Aschenurnen ruhen, dann schließlich realistisch, das heißt mit Alterszügen wiedergegeben. Dies heißt im Umkehrschluss, dass die beiden Eheleute, die wir hier sehen und die sehr jung wirken, nicht unbedingt sehr früh verstorben sein müssen.


So weit also die Beispiele, die Sybille Haynes gesammelt hat, um zu illustrieren, wie man sich das Gelage vorstellen muss, das die Schwiegertöchter des Tarquinius Superbus in Rom in jener Zeit veranstaltet haben, als ihre Männer im Feldlager vor der Stadt Ardea stationiert gewesen sind. Zu dieser Zeit wird sich demnach die Hofhaltung des Königs von Rom Tarquinius Superbus in nichts von den Hofhaltungen anderer Herrscher in den mächtigen Etruskerstädten unterschieden haben - so die Theorie von Sybille Haynes. Als nächstes schauen wir uns ihre Beispiele an, die sie zur Illustration der Tätigkeit der als mustergültig charakterisierten Lucretia in Collatia gefunden hat


12. Dia

Hellenistische Votivstatuette aus Etrurien, Florenz, `Spinnerin´, Athena ?, Bronze

S. HAYNES 1989, Taf. 8,a, 2. Viertel 4. Jh. v. Chr.


Bei der hier gezeigten, kleinformatigen Bronze handelt es sich um ein Weihgeschenk, eine Votivstatuette. Sie ist in Etrurien entstanden und befindet sich im Archäologischen Museum von Florenz, möglicherweise ist die Göttin Athena dargestellt. Bekleidet ist die Figur mit den griechischen Kleidungsstücken Chiton und Himation, die wir bereits bei den beiden Frauen der Gelageszene der Tomba dei Leopardi kennengelernt haben. Datiert wird diese Statuette ins 2. Viertel des 4. Jhs. v. Chr. Das heißt demnach, dass man sich - zumindest die Damen - zu dieser Zeit in Etrurien griechisch gekleidet hat. Die dargestellte Frau oder die Göttin Athena, die wir hier sehen, breitet beide Arme aus und hielt offensichtlich einen oder mehrere Gegenstände in ihren Händen, wobei Sybille Haynes die wiedergegebene Handlung überzeugend als Spinnen von Wolle erkannt hat. Als Dedikant dieser Weihung käme eine junge Frau in Betracht, zum Beispiel aus Anlass ihrer Verheiratung. Dazu muss man wissen, dass der Horizont einer verheirateten Frau dieser Zeit, nicht etwa lautete: "Kinder, Küche, Kirche", wie dies noch in der 2. Hälfte des 20. Jhs. hierzulande sprichwörtlich war. Kochen mussten die Damen jener Gesellschaftsschicht, über die wir aus der Antike reichliche Nachrichten bezüglich ihrer Lebensumstände besitzen, und die es sich leisten konnten, ein derartig teures Weihgeschenk in ein Heiligtum zu stiften, nun wahrhaftig nicht, denn dafür hatten sie entsprechend spezialisiertes Personal. Dass sie regelmäßig bestimmte religiöse Rituale aus Anlass der nicht wenigen öffentlichen Götterfeste, sowie auch im eigenen Haushalt vollziehen mussten, galt dagegen für alle Menschen antiker Zeit als selbstverständlich, vorausgesetzt, es handelte sich um Personen, die innerhalb ihrer Gesellschaft als Bürger geachtet sein wollten - `Aussteiger ´ aus der Gesellschaft gab es in der Antike allerdings genau so wie heute.


[zu den folgenden 3 Dias nur kurz frei gesprochen]


13. Dia

Bronzestatuette einer `Spinnerin´ aus Nemi, London, British Museum, 2. Jh. v. Chr.

(rechts mit ergänztem Spinnrocken und Spindel)

S. HAYNES 1989, Taf. 10a,b


14. Dia

Spulen und Spinnwirtel, Florenz, Museo Archeologico, 7./6. Jh. v. Chr., impasto

M. TORELLI 2000, 135, 582, Kat. 129, 7. Jh. v. Chr.


15. Dia

S. HAYNES 1989, Taf. 8,b-d; 9,a

Kopflose etruskische Bronzestatue, München, Antikensammlungen, `Spinnerin´, frühhellenistisch

[Ende der 2. Vorlesungssitzung.]



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Fussnoten:


27 Irrtum, wie ich später erfuhr, handelt es sich um ein Mittelseminar bzw. sogar um ein Hauptseminar für Magisterstudenten.

28 KlPauly 5 (München 1979) 526 s. v. Tarquinius (A. PFIFFIG); D. C. MOSES, in: A. E LAIOU 1993, 71 mit Anm. 111.

29 D. C. MOSES 1993, 76.

30 T. P. WISEMAN 2008, 293-305, "The Legend of Lucius Brutus"; S. 306-319: "Roman Republic, Year One", bes. S. 313.

31 vgl. F. PRAYON 2010, 7-8.

32 D. C. MOSES 1993, 72 mit Anm. 114.

33 T. P. WISEMAN 1998, 30 mit Anm. 24.

34 DNP VII (1999) 499 s.v. Lucretia [2] Gattin des Collatinus (L. KÄPPEL).

35 B. ANDREAE, in ders. 2004, 178, zu Abb. 1, spricht bei einem ähnlichen Beispiel von Paneelen.

36 S. HAYNES 1989, 1395, Taf. 1,a.

37 F. PRAYON 2006, 40, 44, datiert es ins 5. Jh. v. Chr.

38 B. ANDREAE et al. 2004.

39 sie sind bekränzt, ansonsten jedoch unbekleidet. Sie erinnern somit an die mythische Gestalt des Ganymed.

40 F. PRAYON 2006, 117.

41 C. FAYER 1986, 1 mit Anm. 1.

42 F. PRAYON 2006, 44 mit Anm. 43.

43 nach freundlicher (mündlicher) Auskunft von Prof. Prayon.

44 so F. PRAYON 2010, 100.

45 leider nicht, wegen meiner Erkrankung ist das Kapitel `Wohnen in Horti und Villen´ ausgefallen.

46 vgl. F. PRAYON 2006, 109.

47 vgl. N. C. WINTER 1993, 19.

48 vgl. F. PRAYON 2006, 17-19, 21, 91.

49 vgl. die Hausurne mit Satteldach, F. PRAYON 2006, 13, Abb. 12.

50 N. C. WINTER 1998, 461 mit Anm. 2.

51 F. RONCALLI 1985, 79 mit Anm. 1: "Plinius, N. H. XXXV 17-18".

52 S. HAYNES 1989, 1397 mit Anm. 12, Taf. 1,b-c.

53 F. PRAYON 2006, 56.


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