Römische Archäologie I - Republik - dritte Vorlesung

Dr. Chrystina Häuber, Universität Tübingen

3. Vorlesungssitzung

Di, 27. April 2010



Sehr geehrte Damen und Herren,


willkommen zur 3. Vorlesungssitzung !


Am Anfang dieser Stunde möchte ich noch etwas zu den Texten sagen, die ich für Sie in dem Aktenordner zu unserer Vorlesung abhefte. Wie angegeben, enthält die Bibliographie die von mir "benutzte" Literatur, die, wie Sie unschwer feststellen können, nicht komplett in unserer Bibliothek vorhanden ist. Es geht mir darum, Ihnen die bestmöglichen Abbildungen, und wenn möglich in Farbe zu zeigen. Diejenigen von Ihnen, die noch Vorlesungen mit Dias erlebt haben, werden wissen, wie viel qualitätvoller Dias sein können als die Bilder von Power-Point-Präsentationen. Herr Prof. Schäfer hatte mich aber gebeten, Ihnen PP-Präsentationen zu zeigen. Farbige Bilder will ich Ihnen deshalb zeigen, weil die Farbe der Objekte in den meisten Fällen bedeutende zusätzliche Informationen enthält. Das Beispiel einer in unserer Bibliothek wohl nicht vorhandenen Publikation, auf das ich hingewiesen worden bin, betraf einen neueren Katalog der Kapitolinischen Museen in Rom.

Da ich nicht weiß, was in Ihrem Tutorium zur Sprache gekommen ist, nehme ich dies zum Anlass, eine kleine Tutoriums-Information zu meiner Vorlesung anzufügen. Früher hat man in Vorlesungen nur Schwarz-weiß Dias gezeigt, weil die wissenschaftltiche Literatur aus Kostengründen - wie bereits gesagt - nur in der Lage war, schwarz-weiße Abbildungen zu drucken. Das war auch nicht weiter schlimm, weil es zahlreiche Exkursionen gab, bei denen die Studenten, wie sie damals hießen, die Originale in den Museen unter fachkundiger Anleitung ihrer Dozenten kennenlernen konnten. Die schwarz-weißen Abbildungen in wissenschaftlichen Publikationen frischten somit die Erinnerung an die eigene Autopsie der Originale auf. Heute dauern Exkursionen aus Kostengründen nicht mehr so lange wie zu jenen Zeiten, und es werden insgesamt, gleichfalls aus Kostengründen, viel weniger Exkursionen pro Semester angeboten. Selbstverständlich bedeutet eine schwarz-weiße Abbildung eines antiken Denkmals, wenn man es nicht aus Autopsie kennt, eine Abstraktion der Wirklichkeit, welche so weit gehen kann, dass man dieses Objekt unter Umständen gar nicht wiedererkennt, wenn man dann doch schließlich einmal vor ihm steht. Daher mein Bestreben, Ihnen zumindest Farbabbildungen dieser Denkmäler zu zeigen.


Im Übrigen ist unsere Bibliothek gut ausgestattet mit wissenschaftlichen Bestandskatalogen der Kapitolinischen Museen, in denen Sie, insgesamt betrachtet, nahezu alles finden werden, was in diesen Museen vorhanden ist. Und um herauszufinden, welche Einzelmuseen zu den Kapitolinischen Museen gehören, empfehle ich Ihnen den Romführer von Amanda Claridge aus dem Jahre 1998 zu Rate zu ziehen, ich habe Ihnen zu diesem Zweck ein Exemplar aus meinem Besitz in den Apparat gestellt. Diesen Romführer haben wir auch nicht in unserer Bibliothek, ich habe aber bislang nicht empfohlen ihn zu kaufen, weil eine 2. Auflage im Druck ist, die wir dann allerdings anschaffen sollten. Es handelt sich nach meiner Auffassung um den besten gegenwärtig vorhandenen Romführer. Da dieses Werk in einer prähistorischen Reihe erschienen ist, in denen eine andere Datierungsweise üblich ist als in unserem Fach, folgt auch dieser Romführer dieser Datierungsweise, was natürlich in diesem Werk erklärt wird. Dies trifft analog für alle Museen Roms und für alle Museen der Welt zu, von deren Beständen wir Literatur in unserer Bibliothek besitzen. Stadtführer, auch nichtwissenschaftliche, erschließen Ihnen zuallererst, welche Sehenswürdigkeiten es in einer Stadt gibt, und da sich dieses Angebot ständig ändert, macht es Sinn, sich möglichst neue Stadtführer anzuschaffen.


Wie ich bislang in Gesprächen mit Ihnen feststellen konnte, haben Sie erfreulicherweise sehr verschiedene Interessen in Bezug auf das Thema unserer Vorlesung. Sie haben vielleicht schon einmal von dem früheren System der University of Oxford gehört, wobei unsere neuen Bachelor- und Masterstudiengänge ja nach angelsächsischem Muster entwickelt worden sind. Wie ich erst im vergangenen März in Rom in der British School at Rome erfahren habe, gab es in Oxford früher das one-to-one Tutorship, das heißt, jeder Studierende hatte in der Tutorstunde einen Dozenten `für sich ganz allein´, den er alles, was er zu einer Lehrveranstaltung wissen wollte, fragen konnte - natürlich hat auch dieser Tutor Fragen gestellt, ein Verfahren, bei dem man als Studierender, ohne sich dessen vielleicht ganz bewußt zu sein, ganz en passent wissenschaftlichen Diskurs erlernt hat. Ich habe dies in der British School at Rome 5 Jahre lang selbst erlebt, als ich dort für meine Dissertation geforscht habe, weil mich die durchreisenden englischen Professoren, die an ihren Heimatuniversitäten alle als Tutoren tätig waren, wie ihre eigenen Studenten behandelt haben - mich hat das sehr weitergebracht, und ich kann Ihnen das auch nur wünschen.


Nun zurück zum Thema unserer aktuellen Vorlesung.

Nachdem wir bereits etwas über den enormen Aufwand erfahren haben, der bei den Etruskern für die standesgemäße Versorgung von bereits Verstorbenen einer Gens getrieben wurde, indem man sie in aufwändigen Kammergräbern bestattet hat, und, solange die entsprechende Familie existierte, in diesem Grab und an diesem Grab regelmäßig kultisch verehrte, soll in dieser Vorlesungssitzung mehr von den Lebenden die Rede sein. Voraussetzung für ihren Wohlstand, von dem bereits in den vergangenen Stunden die Rede war, war nach ihrer eigenen Vorstellung der Zusammenhalt ihrer Gens, weshalb wir uns heute zunächst den Themen Ehe und Familie zuwenden. Beginnen will ich mit den bereits in der letzten Stunde kurz vorgestellten Darstellungen von Frauen, die Wolle spinnen.


2. Dia

Votivstatuette aus Etrurien, Florenz, `Spinnerin´, Athena ?, Bronze

S. HAYNES 1989, 1401, Taf. 8,a, 2. Viertel 4. Jh. v. Chr.


Wie erwähnt, war es Sybille Haynes, die erkannt hat, dass es sich bei der von dieser Statuette vorgeführten Aktion um das Spinnen von Wolle handelt, wobei sie diese Darstellungen zur Illustration der Lucretiageschichte in der Fassung des Livius herangezogen hat. Dass die Haltung der Arme sowie die Positionen der Finger beider Hände dieser Statuette von Haynes korrekt gedeutet worden sind, werden wir uns anhand der nächsten Darstellung einer `Spinnerin´ anschauen.


Gattungsspezifisch ist zu diesem kleinen Bildwerk zu sagen, dass es sich um eine Bronze handelt, deren zu Grunde liegendes Original aus Wachs geformt war, das beim Guss der Statuette verloren ging (cire perdue). Deshalb spricht man bei derartigen Bildwerken von Plastiken, da das Original aus plastischem Material (Wachs, Ton oder Gips) geformt war. Da das Werk unterlebensgroß ist, handelt es sich um eine Statuette, und auf Grund des dargestellten Sujets `Götterbild´ um eine Idealplastik. Zum Sujet (dem inhaltlichen Gegenstand) der Statuette ist zu sagen, dass die Göttin Athena bzw. Minerva, wie die Römer sie nannten, hier nicht zufällig als `Spinnerin´ erscheint. Denn nach antiker Vorstellung waren es die Götter, welche die Menschen sämtliches Know-how ihrer Kultur gelehrt hatten. Athena / Minerva, die kluge Göttin, war passend zu ihrem Charakter auch für alle handwerklichen Techniken zuständig. Obwohl sie selbst als jungfräulich gedacht wurde, hatte Minerva bei den Etruskern interessanterweise auch den Beinamen mater (Mutter). Minerva war nämlich auch zuständig für die Betreuung werdender Mütter, und als kourotrophos war sie für den Schutz von Kindern zuständig. Außerdem kommt es sowohl bei den Griechen, als auch bei den Etruskern und Römern häufig vor, dass die Götter genau mit jenen Gegenständen dargestellt werden, die für sie selbst typisch sind, oder die sie den Menschen als Kulturgut gebracht haben. Hierbei spricht man von Attributen. Dass Athena / Minerva hier beim Spinnen dargestellt wird, ist demnach nicht ungewöhnlich. Es ist vorstellbar, dass diese Statuette in einem Minervaheiligtum in Etrurien geweiht worden war.


Das Ziel der Ehe war nach damals gültigem Recht in Rom wie in Athen, eheliche Kinder zu zeugen und somit dem Ehemann und (wenn er pater familias war) rechtmäßige Erben zu bescheren. Die 1. Hauptaufgabe der rechtmäßigen Ehefrau war es demnach, Kinder zu gebären, die 2. Hauptaufgabe der Ehefrau bestand darin, die Kleidung für die Familie herzustellen. Wie wir aus der Lucretiageschichte wissen, standen einer Frau dieser Gesellschaftsschicht zur Bewältigung dieser Aufgabe allerdings eine sicher nicht geringe Anzahl von Mägden zur Verfügung. Dabei ist davon auszugehen, dass die Frauen einer Familie ursprünglich ausschließlich Wolle von eigenen Schafen verarbeitet haben. Die handwerkliche Fähigkeit des Spinnens war demnach nicht irgendeine der zahlreichen Hausarbeiten, denen sich verheiratete Frauen widmeten, sondern das Spinnen hatte eine enorme wirtschaftliche Bedeutung für die eigene Familie und wurde obendrein zu der Tätigkeit einer Ehefrau per excellence stilisiert.


Für die wirtschaftliche Bedeutung derartiger Tätigkeiten verheirateter Frauen kann ich Ihnen ein Beispiel nennen, das ich im Oxford Classical Dictionary unter dem Stichwort "textile production" gefunden habe: nach dem sog. Recht von Gortyn (auf Kreta), einer griechischen Rechtskodifikation des 5. Jhs. v. Chr.54, die dort auf einer Inschrift erhalten geblieben ist, durfte eine verwitwete oder geschiedene Ehefrau die Hälfte dessen behalten, was sie in der Zeit ihrer Ehe gewebt hatte (!)55.


Selbstverständlich erwarben bereits die kleinen Mädchen die entsprechenden Fertigkeiten, damit sie den Anforderungen überhaupt genügen konnten, die man diesbezüglich an eine Ehefrau zu stellen gewohnt war. Tatsächlich kauften die Römerinnen Wollstoffe und Leinentuche nicht auf dem Markt, sondern stellten alle aus diesen Materialien gefertigten Kleidungsstücke für die ganze Familie in allen Arbeitsgängen selbst her. Wenn man bedenkt, wieviel Know-how, Kapital und Gerätschaften hierzu notwendig waren, wird verständlich, warum gerade in den größeren Städten die ärmere Bevölkerung gezwungen war, sich ihre bescheidenen Textilien zu kaufen. Unser Wort Pensum ist beispielsweise ein lateinischer Begriff, der bei den Römern die abgewogene Menge bezeichnete, die eine Sklavin am Tag spinnen mußte (Vergil., georg. 4,347; Mart. 9,65,11). Der Bedarf an Textilien war im Übrigen bereits in den großen Städten prähistorischer Zeit schon ganz enorm gewesen. Ich nenne Ihnen ein Beispiel, das Sie in der Enzyklopädie Der Neue Pauly unter dem Stichwort Textilherstellung finden: in der babylonischen Stadt Ur (Uruk / Warka)56 gab es bereits eine `Textilindustrie´, denn dort arbeiteten zwischen 12.000 und 13.000 Weberinnen (je 220 Frauen und Kinder unter einem Aufseher)57.


Die hier gezeigte etruskische Statuette, die dem 4. Jh. v. Chr. entstammt und mit dem griechischen Chiton aus Leinen und einem darüber getragenen Wollmantel (Himation) bekleidet ist, stellt für das Aufgabenspektrum von Ehefrauen der höheren Gesellschaftsschichten ein gutes Beispiel dar. Die dem Chiton und Himation entsprechenden römischen Kleidungsstücke hießen Tunica (aus Leinen) und Toga (aus Wolle), wobei neuerdings auch die Spezialisten zugeben, dass es manchmal im Denkmälerbestand äußerst schwierig zu bestimmen ist, ob eine Person mit diesen griechischen, oder vielleicht doch mit der römischen Kleidung dargestellt ist. Im Ausstellungskatalog zur "L'età della conquista"/ `Zeit der Eroberung´ (der römischen Republik) von Eugenio La Rocca und anderen (2010) wird dies diskutiert. Den Katalog zu dieser Ausstellung finden Sie im Apparat zu dieser Vorlesung und ich habe Ihnen den entsprechenden Beitrag in der Liste der benutzten Literatur angegeben.


Die griechische, etruskische und römische Ehefrau mußte in der Lage sein, diese hier sichtbare Grundausstattung der Bekleidung für Mädchen und Frauen ihrer Familie selbst herzustellen - die Grundausstattung der Bekleidung für die männlichen Mitglieder der Familie, die ganz ähnlich war, sowie alle anderen im Haus gebrauchten Textilien natürlich ebenso. Hinzu kamen noch sehr viel aufwändigere Kleidungsstücke, die nur ganz bestimmte männliche Mitglieder der Familie tragen durften, und obendrein haben diese Frauen Textilien für die Kultbilder der Götter in den Staatstempeln hergestellt.


Es gab auch Seide als Rohmaterial und in Form von Geweben zu kaufen, doch obwohl Seide in erheblichen Mengen von China an die antiken Völker des Mittelmeeres verhandelt worden ist, fällt es schwer im Denkmälerbestand der antiken römischen Portraits Spuren dieses besonderen Kleiderluxus auszumachen, offenbar deshalb, weil jeweils das ganze Kleidungsstück aus Seide hergestellt war. Natürlich `fällt´ ein Seidenstoff ganz anders als ein Stoff aus Leinen oder Wolle, wie Sie sicher selbst wissen, dennoch `sieht´ man den plastischen griechischen, etruskischen und römischen Portraits nicht an, ob die dargestellte Person Kleidung aus Seide trägt oder nicht.


Anders verhält es sich mit einem anderen Aspekt des Kleiderluxus der antiken Völker des Mittelmeerraums, dem sehr teuren Farbstoff Purpur. Dieser war in Phönizien entdeckt worden, wo man ihn aus der Purpurschnecke herstellte. Auch die Etrusker und Römer führten ihn ein, und es wurden zumeist nur einzelne Stoffbahnen mit Purpur eingefärbt, welche die andersfarbige Kleidung zierten. Später kam es auch bei den Römern vor, dass Textilien als Ganzes mit Purpur gefärbt worden sind, was jedoch von den Zeitgenossen scharf kritisiert wurde. Wie die Etrusker hatten die Römer eine Klassengesellschaft, in der die Kleidung nach Geschlecht, Alter und Stand differenziert war, und streng reglementiert wurde, wer welche Standesabzeichen an seiner Kleidung tragen durfte. So kennzeichneten bei den Römern unterschiedlich breite Purpurstreifen, die an der Tunica und an der Toga angebracht waren, die Angehörigen der beiden obersten Gesellschaftsklassen (Senatoren und Ritter)58.


Dieser kostbare Pupurbesatz der Kleidung bestimmter Gesellschaftsklassen und Magistrate ist in der zeitgenössischen Malerei detailgetreu wiedergegeben worden und konnte im Fall von Plastiken in entsprechender Reliefauflage gekennzeichnet werden, weshalb wir über den römischen Purpurluxus sehr viel besser Bescheid wissen als über die für uns `unsichtbaren´ Seidenstoffe, welche die Römer gleichfalls getragen haben. Kleidungsstücke für die nicht selten kolossalen Kultbilder in den großen Staatstempeln werden in antiken Schriftquellen sowohl für Griechenland als auch Rom erwähnt. Da die Ehefrauen der römischen Magistrate und Priester ja bereits die entsprechenden Amtstrachten für ihre Männer fertigten, traten sie im Grunde bereits mit diesen Textilien in eine öffentlich ausgetragene Konkurrenz miteinander. Dies galt natürlich in ganz besonderem Maße für jene Frauen, welche die Kleidung für die Kultbilder der Götter herstellen durften.


Für den Römer war die Toga die offizielle Tracht, das `Staatsgewand´ (H. R. Goette)59. In der Republik wurde die Toga auch von Frauen getragen, wie wir noch hören werden. Die Römer trugen während der Republik die kurze Toga (Toga exigua) und in der Kaiserzeit, beginnend mit der augusteischen Zeit, eine stoffreichere Toga - wovon wir uns gleich Beispiele ansehen werden. Die grundlegende Studie zur römischen Toga in deutscher Sprache stammt von Hans Rupprecht Goette, auf dessen Erkenntnisse ich mich hier stütze, sie ist in der Literaturliste aufgeführt.

3. Dia

Portraitstatue des `Arringatore´, Florenz, Museo Archeologico

M. CRISTOFANI 1985

S. 64-72, 242, 300, Kat. 129 - Gesamtaufnahme von vorn rechts

Dat.: nach 89 v. Chr.


Die hier gezeigte Statue des sog. Arringatore (`Redners´) aus Pila bei Perugia in Etrurien gehört zu den berühmtesten Kunstwerken, die wir uns in dieser Vorlesung anschauen wollen. Es handelt sich um eine lebensgroße Portraitstatue (H: 1, 79 m) aus Bronze des Etruskers Avle Metele (`Aulus Metellus´), dem seine Heimatstadt auf Grund seiner persönlichen Verdienste diese Statue im öffentlichen Raum aufgestellt hatte. Sie war der Gottheit Tece Sans60 geweiht, wie die etruskische Inschrift auf der Rückseite der Statue besagt, die sich auf dem Saum der Toga befindet. Sie müssen sich diese Statue ursprünglich mit eingelegten Augen aus farbigen Materialien vorstellen, die heute fehlen. Der Mann macht mit seiner rechten erhobenen Hand eine momentane Geste, die wohl bedeuten soll, dass er einer vor ihm stehend zu denkenden Menge Schweigen gebietet, bevor er mit einer Ansprache beginnt.


4. Dia

Kopf des `Arringatore´, von unten rechts gesehen,

M. CRISTOFANI 1985, S. 243, Kat. 129


Der dargestellte Mann hat kurz geschnittene Haare und ein glattrasiertes Gesicht - wie ein Römer.


5. Dia

`Arringatore´: Inschrift auf dem Purpurstreifen der Toga

M. CRISTOFANI 1985, S. 244, Kat. 129


Die Ehreninschrift für Avle Metele, den `Arringatore´, enthält selbst keine Informationen, denen wir heute ein Entstehungsdatum der Statue entnehmen können, denn dass er als "Sohn des Vel und der Vesi" in der Inschrift bezeichnet wird, hilft uns diesbezüglich nicht weiter. Dennoch lässt sich die Statue datieren. Sie ist - und deshalb zeige ich Sie Ihnen - mit einer römischen Toga exigua mit Purpurstreifen bekleidet, wobei deutlich erkennbar ist, dass es sich bei diesem Streifen um einen auf den Mantel genähten Besatz handelt. Unter seiner Toga trägt der Dargestellte eine Tunica.


Ferner ist er mit römischem Schuhwerk, den sog. calcei bekleidet, und trägt obendrein einen goldenen Ring an der linken Hand - ein Vorrecht, das bei den Römern dem Ritterstand vorbehalten war. All diese Standes- und Amtsinsignien zusammengenommen weisen diesen Mann nach Ansicht des Portraitforschers Klaus Fittschen als römischen Bürger (der Oberschicht) aus, und da den italischen Bundesgenossen im Jahre 89 v. Chr. das römische Bürgerrecht verliehen wurde, liefert dieses Geschichtsdatum einen terminus post quem für die Entstehung der Statue61 - die Statue muss nach dieser Hypothese also nach 89 v. Chr. entstanden sein.


6. Dia

Genius, der mit der Toga praetexta bekleidet ist, Larenaltar, Pompeji, Casa dei Vettii, großes Wohnhaus62, T. FRÖHLICH 1991, Taf. 7.


Die stoffreiche, kaiserzeitliche Toga mit einem breiten Purpurstreifen sehen Sie auf diesem Bild. Es zeigt einen Larenaltar im Vettierhaus (Casa dei Vettii) in Pompeji mit der Darstellung eines Genius, der eine Toga praetexta trägt. Die Abbildung ist dem Buch über Larenaltäre von Thomas Fröhlich entnommen, das Sie in der Literaturliste finden. Diese Malerei gehört dem IV. Stil an, das heißt, sie ist ab ca. 50 n. Chr. entstanden. Der Zuschnitt der republikanischen und der kaiserzeitlichen Toga war sehr unterschiedlich, wie Sie sich bei Betrachtung des `Arringatore´ und des hier gezeigten Genius sicher unschwer vorstellen können. So hat man für die hier gezeigte Form der Toga ca. die doppelte Menge Stoff gebraucht wie für die Toga, die der `Arringatore´ trägt. Dieses Thema habe ich bereits in der Vorlesung zur römischen Kaiserzeit ausführlich behandelt, weshalb ich hier nicht noch einmal darauf eingehe.


7. Dia

Vulci, Tomba François, Vel Saties im purpurnen Prunkmantel und der mit einer Tunica bekleidete Arnza

B. ANDREAE et al. 2004, 201, spätes 4. Jh. v. Chr.


Ein Beispiel für ein ganz mit Purpur gefärbtes Kleidungsstück will ich Ihnen nicht vorenthalten, und zwar aus verschiedenen Gründen. Ich hatte Ihnen ja bereits in der 1. Vorlesungsstunde berichtet, dass die Etrusker in der Antike als sehr reich galten, wofür diese etruskische Wandmalerei mit einem Mann, der einen kostbaren, golddurchwirkten Purpurmantel trägt, als Beispiel dienen soll. Wie man festgestellt hat, handelt es sich bei diesem Mantel um ein griechisches Himation, und die eingewebten Muster bestehen aus Waffentänzern und Mäandern63. Zuvor hielt man dieses Gewand ganz selbstverständlich für die Toga palmata des (römischen) Triumphators, was sich weder mit dem Dekor, noch mit dem Zuschnitt dieses Mantels begründen lässt, noch damit, wie der Träger dieses Kleidungsstück angelegt hat. Weil man daher inzwischen weiss, dass der Dargestellte nicht etwa deshalb diesen Mantel trägt, weil er eine Magistratur oder ein Priesteramt bekleidet, oder gar ein Triumphator ist, konnten die soeben genannten Deutungen allesamt widerlegt werden.


Obwohl die Bedeutung der Szene für die römische Kulturgeschichte weniger spektakulär ist als von manchen der erwähnten modernen Kommentatoren erhofft, ist sie für uns dennoch von Interesse: zeugt doch der hier dargestellte Prunkmantel von dem Bestreben des etruskischen Adels, seinen Reichtum ostentativ zur Schau zu stellen. Sie haben vermutlich schon mehrfach davon gehört, dass man sowohl in Athen als auch in Rom immer wieder versucht hat, den Adel mit Antiluxusgesetzen genau daran zu hindern, etwas zu tun, was in allen Weltkulturen für den Adel typisch war und ist. Ich zeige Ihnen diesen kostbaren Pupurmantel aber auch deshalb, weil der uns heute bekannteste Etrusker, Gaius Maecenas, seinen römischen Zeitgenossen und später dem Philosophen Seneca offenbar nicht zufällig wegen seines luxuriösen Lebensstils und seiner Vorliebe für Purpurkleidung unangenehm aufgefallen ist64.

Die Tomba François, aus der diese etruskische Wandmalerei stammt, wurde 1857 von Alessandro François in der Etruskerstadt Vulci entdeckt und ausgegraben. Sie ist nach ihm benannt und wird ans Ende des 4. Jhs. v. Chr. datiert. Der Mann mit dem purpurnen Mantel ist der Grabherr, dessen Name, Vel Saties, über seinem Kopf in etruskischer Schrift erscheint. Vom Beschauer aus rechts von Vel Saties hockt am Boden ein kleiner Junge, der mit einem Vogel spielt, den er an einem Faden hält. Seinen Namen Arnza erfahren wir aus einer Inschrift, die über seinem Kopf steht. Auch die Kleidung dieses Knaben ist für unseren Zusammenhang interessant: er trägt eine Tunica mit schmalem Purpurstreifen. Die Tomba François enthält die frühesten historischen Darstellungen65, die uns aus der etruskischen Kunst bekannt sind, was zu den bereits erwähnten Deutungen Anlass gegeben hat. Ich habe Ihnen in der Literaturliste einen Aufsatz von Cornelia Weber Lehmann66 und die Monographie von Friedhelm Prayon von 200667 angegeben, in denen die entsprechenden Forschungen zusammengefasst sind, die ich hier wiedergegeben habe.


Damit kehren wir nun zu unseren Spinnerinnen zurück.


8. Dia

Bronzestatuette einer `Spinnerin´ aus Nemi, London, British Museum

(rechts mit ergänztem Spinnrocken, Spindel und Spinnwirtel)

S. HAYNES 1989, 1404, Taf. 10a,b, 2. Jh. v. Chr.


Anhand dieser halblebensgroßen Bronzestatuette aus Nemi, die sie ins 2. Jh. v. Chr. datiert, hat Sybille Haynes die Behauptung beweisen können, dass die 3 hier vorgestellten Frauenfiguren - die 3. kommt später - damit beschäftigt sind, Wolle zu spinnen. Sie sehen links die Statuette in ihrem aktuellen Erhaltungszustand und rechts dieselbe Statuette mit der vorgeschlagenen Ergänzung. Anders als bei den stehenden Spinnrädern, die wir aus den Illustrationen zum Märchen Dornröschen kennen, hat die hier vorgeführte Technik den Vorteil, dass das nötige Arbeitsgerät (Spinnrocken und Spindel) leicht und transportabel ist. Diese Statuette befindet sich im British Museum in London und stammt aus der Stadt Nemi, die südöstlich von Rom in den Colli Albani liegt. Sie wurde zusammen mit weiteren Bronzestatuetten gefunden, deren Attribute erhalten sind, welche sie unzweideutig als Votivgaben ausweisen68. Deshalb kann man auch diese Statuette für ein Weihgeschenk halten.

Ehe wir uns der Ikonographie dieser Statuette zuwenden, möchte ich Ihnen kurz erläutern, wie man in der Antike Flachs und Wolle gesponnen hat.


Das zu verspinnende Material (Flachs oder Wolle) musste zunächst gründlich gewaschen, geklopft, gehechelt (aufgelockert) und `gekrempelt´ (`gekämmt´) werden. Das hört sich ganz harmlos an, war aber schwere und vor allem schmutzige Arbeit. Zum `Krempeln´ verwendete man ein Gerät, das die Griechen Epinetron nannten. Dieser Arbeitsgang wurde im Sitzen ausgeführt. Das Epinetron, ein Gegenstand aus gebranntem Ton (oder anderem Material) mit aufgerauhter Oberfläche, wurde in der Weise auf den Oberschenkel und das Knie gesetzt, dass man über die aufgerauhte Fläche Rohwolle ziehen konnte. Griechische Vasendarstellungen zeigen jedoch, dass viele Frauen - ohne irgendeinen Schutz auf die bloße Haut zu legen - die Rohwolle auf ihren Unterschenkeln bearbeitet haben69. Erst das so vorbereitete Material konnte versponnen werden und wurde zu diesem Zweck um einen Stab, den Spinnrocken, gewickelt. Spinnrocken hat man häufig in Gräbern gefunden, sie konnten sogar aus Elfenbein und Bernstein gefertigt sein, wobei Bernstein zu den kostbarsten Luxusgütern der Römer überhaupt gezählt hat. Ob man derartige Spinnrocken tatsächlich zum Arbeiten verwendet hat, kann man zumindest vorsichtig in Frage stellen.


Aus dem mit der Linken gehaltenen Rocken zog die Spinnerin dann mit der Rechten einen Faden, der mit dem Haken des Spindelstabes verknotet wurde. Beim Spinnen wurde nun die Spindel in Rotation versetzt. Während sie sich drehte, zog die Spinnerin mit der rechten Hand immer wieder Fasern aus dem Rocken heraus. Die Rotation der Spindel zwirnte die herausgezogenen Fasern. Wenn die Spindel rotierend den Boden erreicht hatte, hatte sich auch der gezwirnte Faden verlängert. Nun wurde der Knoten am Spindelstab gelöst, der feine Faden um ihn herumgewickelt und neu verknotet. Der Vorgang wurde so lange wiederholt, bis die Spindel voll war. Das gesponnene Garn wurde schließlich von der Spindel genommen. Zu einem Knäuel gewickelt konnte es dann zum Weben weiterverwendet werden. Das Ziel beim Spinnen ist, einen gleichmäßigen Faden zu erzeugen. Geübte Spinnerinnen stellten Fäden in jeder gewünschten Dicke her und es machte offenbar einen großen Unterschied, ob beim Spinnen die Spindel im Uhrzeigersinn oder gegen den Uhrzeigersinn gedreht wurde. Fertige Wollknäuel wurden in einem Korb aufbewahrt70.


Mit dem Weben des Tuches hatte man aber noch lange keinen `tragbaren´ Stoff erzeugt, ehe es soweit war, musste das gewebte Tuch noch gewalkt werden. Hierzu legte man die Stoffe in uringefüllte Becken, in denen sie von Leuten in einem langwierigen Prozeß bearbeitet wurden, zumeist wurden die Tuche mit den Füßen getreten. Die Walker waren auch dafür zuständig, auf dieselbe Weise die schmutzigen Wollstoffe wieder zu reinigen (!).


Unsere Statuette hält, wie die Finger der linken Hand anzeigen, mit dieser Hand einen stabartigen Gegenstand, den Spinnrocken, um den die zum Spinnen vorbereitete Wolle gewickelt ist. Mit der rechten Hand hat die junge Frau einen langen Faden aus dieser Wolle gezogen, an dem bereits die Spindel befestigt ist, die sie mit der rechten Hand auf sich zu dreht, um den erzeugten Wollfaden zu drellen. Am Ende der Spindel hängt ein Spinnwirtel. Wobei die dargestellte Frau zwar bei der Arbeit gezeigt wird, diese dem Betrachter aber gleichsam vorführt. Der Vorschlag von Sybille Haynes, diese Statuette als Weihgeschenk im Heiligtum der Diana von Nemi zu verstehen, erscheint plausibel, und zwar sowohl, weil diese Statuette die handwerkliche Fertigkeit des Spinnens thematisiert, als auch wegen des dargestellten Lebensalters dieser jungen Frau.


Für das nun Folgende verweise ich Sie auf Forschungen, die ich Ihnen in der Literaturliste angegeben habe, z. B. den Aufsatz des italienischen Archäologen Giovanni Colonna aus dem Jahre 1991, der die Hypothese von Sybille Haynes, es handele sich bei den hier gezeigten Statuetten um Darstellungen von Spinnerinnen, nicht nur bestätigt, sondern der diese Ikonographie deutet und die Gruppe der Spinnerinnen um ein weiteres Beispiel aus Rom, eine hellenistische Terrakottastatuette vermehrt71. Bei dieser handelt es sich seiner Ansicht nach um die Darstellung einer Braut, welche als Votiv in einem Tempel der Minerva in Rom geweiht gewesen sei. Diese Statuette befindet sich ebenfalls im British Museum und ist gegenwärtig in der Ausstellung "L'età della conquista" im Konservatorenpalast in Rom zu sehen. Des Weiteren weist Colonna in seinem Aufsatz auf die Bedeutung von Spinnrocken und Spindel bei den römischen Hochzeitszeremonien archaischer Zeit hin: die Braut trug diese Gegenstände in den Händen, eine Sitte, mit der sich auch Plinius der Ältere in der Naturalis Historia beschäftigt hat. Als Gewährsmann für seine Mitteilung zitiert Plinius Varro. Demnach gab es in Rom auf dem Quirinal im Tempel des Gottes Semo Sancus eine Statue, die eine Frau namens Tanaquil darstellte, die auch Gaia Caecilia genannt wurde72 - diese trug gleichfalls Spinnrocken und Spindel in ihren Händen.


Zum Verständnis dieser Geschichte muss man wissen, dass diese Tanaquil / Gaia Caecilia in der römischen Republik als das Muster einer Ehefrau und Vorbild der römischen Matronen galt, wobei ihre Fähigkeiten auf dem Gebiet der selbst hergestellten Textilien offenbar sprichwörtlich waren.


Plinius (nat. hist. 8,194) schreibt: "Marcus Varro behauptet, mit eigenen Augen gesehen zu haben, dass auf dem Spinnrocken und der Spindel der Tanaquil - die auch Gaia Caecilia genannt wird - noch etwas von der Wolle erhalten war. Diese Frau hatte (zwei) Gewänder des Kultbildes der Fortuna gewebt (gemeint ist das archaische Kultbild der Fortuna in ihrem Tempel am Forum Boarium, mit dem wir uns noch beschäftigen werden; bei diesen Gewändern handelte es sich um togae undulatae, auch praetextae genannt). Daher rührt bei uns die Sitte, dass die Mädchen bei der Hochzeit einen Spinnrocken und eine Spindel mit Faden mit sich führen. Tanaquil / Gaia Caecilia war die erste, die eine tunica recta gewebt hat, ein Kleidungsstück, das die Knaben bei den Initiationsriten tragen und die Mädchen bei ihrer Hochzeit".


Sie vermuten es sicher schon, diese Tanaquil war eine Etruskerin. Sie stammte aus Tarquinia und ist niemand anderes als die Gemahlin des ersten etruskischen Königs von Rom, Tarquinius Priscus, von dem wir ja bereits etwas gehört haben. Ihr römischer Name, Gaia Caecilia, verbindet sie mit der Göttin Gaia und damit mit Hochzeitsriten73. Diese Tanaquil hat demnach - in ganz anderer Weise als ihr Mann und vor allem ihr Sohn, Tarquinius Superbus, eine bleibende, und sehr positiv beurteilte Wirkung auf die römische Kulturgeschichte gehabt, wie ihr ja noch Plinius der Ältere, der mehr als 500 Jahre nach ihr lebte, bescheinigen konnte. Livius hat auch die Sage der Tanaquil dramatisch ausgeschmückt, wozu er womöglich von Livia, der Gemahlin des Kaisers Augustus angeregt worden war74.


Die Statue der Gaia Caecilia/ Tanaquil stand nun sicher nicht zufällig im Tempel des Semo Sancus, eines ursprünglich im Sabinerland heimischen Gottes, da dieser nämlich Macht über Blitze hatte, etwas, was auch die Etrusker sehr interessiert hat, außerdem gehen manche antike Autoren davon aus, dass der Mann Tanaquils, König Tarquinius Priscus, diesen Tempel des Semo Sanus errichtet hatte. Aber die Statue der Tanaquil hielt nicht nur Spinnrocken und Spindel in den Händen, weshalb einige moderne Kommentatoren glauben, sie sei den Parzen, den Schicksalsgöttinnen angeglichen gewesen, und somit der Göttin Fortuna, sie galt sogar als wundertätig. Vom Gürtel dieser Bronzestatue wurden nämlich Späne abgefeilt, die als Amulette gegen Erkrankungen getragen wurden75. Wobei die Gabe Kranke zu heilen ebenfalls zur Göttin Fortuna passt. Tanaquil wird ohnehin, sowohl in antiken Schriftquellen, als auch von modernen Kommentatoren, mit der Göttin Fortuna76 gleichgesetzt. Sie hatte die Gabe der Weissagung und verhalf ihrem Mann, Tarquinius Priscus, zur Herrschaft in Rom. Außerdem soll es Tanaquil gewesen sein, die nach Ermordung ihres Gatten dafür sorgte, dass Servius Tullius die Herrschaft zufiel.


In der vorhin zitierten Pliniusstelle erfahren wir, dass Tanaquil / Gaia Caecilia für ein Kultbild der Fortuna zwei Exemplare eines Kleidungsstückes gewebt hatte, das als toga praetexta bezeichnet wurde, sowie dass sie es war, die das erste Exemplar einer tunica recta gewebt hatte, wobei Plinius hervorhebt, dass dieses Kleidungsstück von Knaben bei der Initiation und Mädchen bei der Hochzeit getragen werde. Wir erfahren aus anderen antiken Schriftquellen, dass Mädchen bis zu ihrer Verheiratung genauso wie die Knaben die Toga praetexta trugen. Mit diesem Themenkomplex hat sich z. B. auch die italienische Rechtshistorikerin Carla Fayer beschäftigt, deren Publikationen ich in der Literaturliste aufgeführt habe. Das nun Folgende, was ich Ihnen bereits in der Vorlesung zur römischen Kaiserzeit vorgetragen hatte, finden Sie wieder bei Hans Rupprecht Goette.


Die mit einem Purpurstreifen gesäumte Toga praetexta wurde von den Knaben zusammen mit der Bulla getragen - einem aus Leder oder Gold gefertigten Amulett - bis die jungen Männer in einem speziellen Festakt in die Erwachsenenwelt eingeführt wurden - jener von Plinius erwähnten Initiation, wobei zu jeder Initiation (in die Erwachsenenwelt) ein Kleiderwechsel gehört. Anläßlich dieser römischen Zeremonie tauschten die Knaben die Toga praetexta gegen die Toga virilis, ein rein weißes Gewand (Toga pura) und legten auch die Bulla ab. Die Toga pura oder candida trug auch der Amtsbewerber, der Candidatus (`Kandidat´) - während dem Magistrat nach seiner Wahl wiederum die Toga praetexta als vestis forensis zustand - das Amtsgewand, das er auf dem Forum (Romanum) trug. Denn dieser Purpurstreifen der Toga praetexta kennzeichnete als eines der römischen Amtsinsignien den Beamten. Die Toga praetexta der Knaben ist auch als eine `Erwartungstracht´ zu interpretieren, da die Eltern eines Knaben damit die Hoffnung und den Anspruch ausdrückten, dass auch ihr Sohn einmal in höchste Ämter vordringen und dann wieder die Toga praetexta tragen werde77.


Während die Knaben anläßlich ihrer Initiationsriten an die Stätten ihres zukünftigen politischen Wirkens geführt wurden, auf das Kapitol und das Forum Romanum, und lediglich ihre Bulla geweiht wurde, weihten die Mädchen bei der Hochzeit ihre toga praetexta der Göttin Fortuna Virgo78. Am Abend vor der Hochzeit legte eine Braut dann ominis causa (`der guten Vorbedeutung wegen´) die bereits erwähnte tunica regilla an, die auch tunica recta hieß, sowie einen Schleier, der reticulum rectum genannt wurde79. Das Anlegen der tunica recta in diesem Moment sollte gleichsam das zukünftige eheliche Wohlverhalten (das heißt die eheliche Treue) der Ehefrau begünstigen, im Übrigen galt ja auch die Vorstellung, dass unbescholtene Ehefrauen die Toga nicht zu tragen hätten. Carla Fayer80 hat festgestellt, dass die beiden Kleidungsstücke tunica recta und reticulum rectum aber nicht etwa nach ihrer Form, oder den diesen Kleidungsstücken zugeschriebenen magischen Wirkungen benannt waren, sondern nach dem Webstuhl, auf dem sie gefertigt wurden, dem senkrechten Webstuhl, tela stans, der schon seit langer Zeit technologisch als überholt galt, aber aus grundsätzlichen Erwägungen heraus zur Herstellung dieser besonderen Brautkleidung diente, was als eines der vielen Anzeichen für den Konservatismus der römischen Religion zu werten sei. An diesem senkrechten Webstuhl musste der Webende im Stehen arbeiten, inzwischen war jedoch seit geraumer Zeit ein komfortablerer Webstuhltyp in Gebrauch, an dem der Webende sitzend arbeiten konnte81.

Der Tempel der Fortuna Virgo stand in Rom und beherbergte, wie der Beiname Virgo der Göttin besagt, den bedeutendsten stadtrömischen Kult, welcher den Initiationsriten (rites de passage) von Mädchen gewidmet war - dazu muss man ferner wissen, dass Fortuna in dieser frühen Zeit, als Aphrodite / Venus in Rom noch unbekannt war, die Göttin der sexuellen Liebe und Fruchtbarkeit der Römer gewesen ist. Nach der Tradition hatte König Servius Tullius diesen Kult gestiftet, der ein Verhältnis mit der Göttin Fortuna gehabt haben soll, und bis zum Untergang der `paganen´ (nicht-christlichen) Kulte in Rom haben die jung vermählten Ehefrauen ihre Toga praetexta, die sie als unverheiratete Mädchen getragen hatten, in diesen Tempel geweiht. Die grundlegenden Forschungen zum Tempel und Kult der Fortuna Virgo hat der italienische Archäologe Filippo Coarelli vorgelegt; die entsprechenden Publikationen sind in der Literaturliste zur Vorlesung genannt. Der Tempel der Fortuna Virgo wird überdies im Lexicon Topographicum Urbis Romae behandelt82.


Diese Toga, welche eine junge Ehefrau aus Anlaß ihrer Hochzeit der Fortuna Virgo weihte, hatte sie selbstverständlich selbst gewebt. Bei den Römern83 fanden die Initiationsriten, denen sich ein junges Mädchen bei Eintritt in die Pubertät unterziehen musste, nämlich im Zusammenhang ihrer Hochzeitszeremonien statt, die insgesamt 3 Tage dauerten. Bedenkt man, dass Mädchen mit ca. 12 Jahren geschlechtsreif wurden und möglichst bald nach Erleben der ersten Regelblutung (Menarche) verheiratet worden sind, dann kann man sich vergegenwärtigen, dass auf diese Teenager sehr bald z. B. jene Aufgaben zukamen, welche die Lucretiageschichte schildert: die Beaufsichtigung des Gesindes, z. B. der Mägde beim Spinnen von Wolle, anschließend das Weben von Tuchen, sowie das Nähen der Kleidung und aller notwendigen Textilien für die ganze Familie, wobei unter familia in diesem Zusammenhang nicht nur die leiblichen Angehörigen zu verstehen sind, sondern jene Personen, die nach römischem Recht zum Haushalt eines Mannes gehörten, das heißt, auch die zahlreichen Sklaven.


Man erfährt aus antiken Schriftquellen, dass in der römischen Republik für das standesgemäße Betreiben des Wohnhauses eines Mannes der Senatorenklasse in Rom (einer Domus) ca. 50 Sklaven benötigt wurden; in Rom sind einige republikanische Domus am Nordabhang des Palatins ausgegraben worden, die wir noch kennenlernen werden84, und welche diese Nachrichten bestätigt haben85. Stellen Sie sich bitte einmal vor, dass Sie eine frisch verheiratete junge Frau von ca. 12 Jahren sind und nun plötzlich in ihrer Eigenschaft als Gattin eines Mannes der obersten römischen Gesellschaftsschicht in ihrem Stadthaus in Rom die Verantwortung für 50 unfreie `Mitarbeiter´ haben ! Hinzu kamen natürlich noch Freie und Klienten, mit denen die junge Frau eines in der Öffentlichkeit stehenden, das heißt politisch und militärisch aktiven römischen Aristokraten täglich zu tun hatte, ganz zu schweigen von Senatoren-Kollegen ihres Mannes oder Mitgliedern der beiden Familie, welchen sie selbst und ihr Gatte angehörten. Der Reichtum von Angehörigen dieser Klasse stützte sich u. a. auf ausgedehnten Grundbesitz, wobei diese Villen außerhalb von Rom lagen und von weiteren freien Mitarbeitern bewirtschaftet wurden, sowie (zu späterer Zeit) von einem Heer von weiteren Sklaven. Neben der sozialen Kompetenz waren hier vor allem auch entweder eine entsprechende Begabung, oder aber profunde Kenntnisse gefordert aus einem Bereich, den wir heute Betriebs- und Volkswirtschaftslehre nennen.

Wobei z. B. die Klienten täglich zum morgendlichen Ritual des Besuches ihres Beschützers (ihres Patronus) zur salutatio matutina, in sein Haus kamen - das heißt, in das Haus des Ehemanns unserer jungen Frau. Klienten hatten die großen Adelsfamilien nicht nur in Rom, sondern in ganz Italien und später im gesamten Imperium Romanum (dem Römischen Weltreich). Je nach Bedeutung eines Patronus konnten das insgesamt Hunderte, später Tausende von Personen sein. Wobei einige von ihnen nach der täglich vollzogenen salutatio matutina nicht etwa mit leeren Händen wieder nach Hause gingen, sondern die für ihre dem Patronus geleisteten Dienste entweder mit Geldbeträgen oder mit Speisen entlohnt wurden. All dies war möglichst reibungslos durchzuorganisieren. Die mustergültige Erziehung der Kinder bis zu dem Alter, in dem Privatlehrer den Unterricht übernahmen, und die Sorge dafür, dass die Ehe mit ihrem Mann ebenso mustergültig harmonisch war, galten ebenfalls als Aufgaben der Ehefrau - alles in allem mit Sicherheit kein kleines Aufgabenspektrum, und schon gar nicht eines, das leicht zu bewältigen war.


Dass nicht wenige Römerinnen dieser Gesellschaftsschicht dies alles zur ehrlichen Begeisterung ihrer Ehemänner geschafft haben, wie wir aus zahlreichen Schriftquellen, aber mehr noch aus Grabinschriften wissen, kann ich mir persönlich nur damit erklären, dass es diesbezüglich einen fundamentalen Unterschied zwischen dem römischen Recht und dem in Athen geltenden gab: die römische Frau musste nach dem Gesetz einverstanden sein, dass sie verheiratet wurde, und vor allem, mit wem - was für die Athenerin nicht galt. In Athen ging das so weit, dass die Braut ihren Bräutigam nicht selten am Tag ihrer Hochzeit zum ersten Mal sah - was Wunder also, dass nach zeitgenössischer griechischer Vorstellung nur der Mann es war, der überhaupt heiratete (!)86.


Im Übrigen wird aus den antiken Schriftquellen zum Thema Ehe und Familie sowohl in Athen als auch in Rom deutlich, dass die eheliche Eintracht verständlicherweise als höchst geachtetes Gut galt, als deren Garant das entsprechende Verhalten der Ehefrau angesehen wurde. Aus heutiger Sicht lebten die Römer in einer patriarchalischen Gesellschaft, weshalb Andrew Drummond im Oxford Classical Dictionary das Schicksal der Lucretia so beurteilt, dass sie nicht nur ein Opfer männlicher Gewalt (des Sextus Tarquinius) geworden sei, sondern vor allem ihrer patriarchalischen Gesellschaft87. Der Gedanke der ehelichen Eintracht kam deshalb bei der römischen Hochzeit darin zum Ausdruck, dass die Braut eine Formel sprach, in der sie ihren Ehemann `Gaius´ nannte, und sich selbst `Gaia´. Diese Formel lautete: Ubi tu Gaius, ego Gaia88, `wo (immer) du, Gaius bist, werde (auch) ich, Gaia, sein´. Wie sahen nun diese jungen römischen Bräute aus ? Dieser Frage werden wir uns im Folgenden zuwenden. Um es gleich vorwegzunehmen, die Römer kannten nicht die bei uns übliche Sitte, das Brautpaar zusammen in einem Bildnis am Tage ihrer Hochzeit festzuhalten, weshalb ich Ihnen im Folgenden tatsächlich nur Darstellungen von römischen Bräuten zeigen kann, nicht jedoch Darstellungen von Männern am Tage ihrer Hochzeit, und schon gar nicht von beiden Brautleuten zusammen.


9. Dia

Karte: DNP 6 (Stuttgart 1999) 1167-1168, Latinische Städtebünde (bis zum 4. Jh. v. Chr.)


Diese Karte stellt Latium in der Antike dar, Sie finden Sie in der Enzyklopädie Der Neue Pauly unter dem Stichwort Latini, Latium. In Latium möchte ich Sie auf die 27 km südlich von Rom gelegene Stadt Lavinium89 hinweisen, die eine besonders enge Verbindung zu Rom hatte, und im Besonderen auf Funde aus einem außerhalb der antiken Stadt gelegenen Minervaheiligtum, mit denen wir uns im Folgenden beschäftigen werden. Unter Augustus wurde der Aeneasmythos im Sinne seines eigenen Regimes neu ausgeformt. Danach wurde die Stadt Lavinium von dem aus Troia kommenden Aeneas gegründet, um den Penaten (den Hausgöttern), die er aus Troia mitgebracht hatte, eine neue Heimat zu schaffen. Aeneas gab dieser Stadt den Namen seiner Gattin, Lavinia, der Tochter des Latinus, nach dem Latium benannt war90. Diese Penaten waren es, denen alle römischen Magistrate zum Beginn ihrer Amtszeit opfern mussten. Dies war in einem Vertrag von 338 v. Chr. festgelegt worden, jenem Jahr, in dem die Stadt Rom das gesamte Gebiet von Latium endgültig in seinen Herrschaftsbereich integriert hatte91.


Die Stadt Lavinium hatte allerdings schon früher zu Rom gehört, wie aus dem ersten Vertrag Roms mit Karthago des Jahres 509 v. Chr. hervorgeht92. Auf Grund dieser sehr engen religiösen Verbindung der Stadt Lavinium mit Rom ist es methodisch zulässig, die in Lavinium angetroffenen archäologischen Funde heranzuziehen, um die gleichzeitigen Verhältnisse in Rom zu erklären, die wir vor dieser Ausgrabung in Lavinium nur aus antiken Schriftquellen kannten. Meine Erkenntnisse zu den im Folgenden betrachteten Kunstwerken habe ich den Ausstellungskatalogen "Enea nel Lazio" (`Aeneas in Latium´) aus dem Jahre 1981, und dem in der Literaturliste genannten Ausstellungskatalog von Andrea Carandini und Rosanna Capelli aus dem Jahre 2000 entnommen, sowie den in der Literaturliste aufgeführten Arbeiten von Mario Torelli.


10. Dia

Tonstatue der Athena / Minerva

Lavinium, "Santuario extraurbano"

CARANDINI, CAPELLI 2000, Dat.: 6.-3. Jh. v. Chr., H: 2 m


Diese Tonstatue aus dem Heiligtum der Minerva in Lavinium gibt die für Lavinium bezeugte Athena Ilias/ Troiana wieder93. Wir wissen aus diesen antiken Schriftquellen, dass diese Minerva für Initiationsriten von Knaben und Mädchen zuständig war.


11. Dia

Oberteil einer Tonstatue aus Lavinio Pratica di Mare

Braut mit sex crines und Goldkette aus Großgriechenland, Museo Archeologico Lavinium

4. Jhs. v. Chr.


links: A. Carandini und R. CAPPELLI 2000, 204, Abb. oben links

rechts:

M. CRISTOFANI und M. MARTELLI 1983, 22, Taf. 14.


Mario Torelli hat erkannt, dass dieses noch sehr kindlich wirkende, ja pausbäckige Mädchen eine Braut sein muss, da seine Frisur als die berühmten sex crines identifiziert werden kann, welche unter Verwendung einer Lanze, der hasta caelibaris entstand. Mauro Cristofani konnte feststellen, dass es sich bei der kürzeren der beiden von dem Mädchen getragenen Goldketten um Schmuck aus Großgriechenland handelt, der ins 4. Jh. datierbar ist.


12. Dia

Kopf einer Tonstatue, Braut mit sex crines

A. Carandini und R. CAPPELLI 2000, 205, Abb. unten links, 2. H. 4. Jh. v. Chr.


Dieselbe Brautfrisur mit den sex crines trägt auch dieser Mädchenkopf, der gleichfalls von einer Tonstatue aus dem Heiligtum der Minerva in Lavinium stammt. Diese Statue wird gleichfalls in die 2. Hälfte des 4. Jhs. v. Chr. datiert.


13. Dia

2 ähnliche Tonstatuen, die junge Frauen mit reichem Goldschmuck darstellen

aus Lavinio, Pratica di Mare, Museo Archeologico Lavinium, 1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.

links (eine der beiden Statuen): A. Carandini und R. CAPPELLI 2000, 204, Abb. unten links


rechts (beide Statuen):

M. CRISTOFANI und M. MARTELLI 1983, Frontispiz und S. 20, Taf. 10


Die beiden hier sichtbaren Tonstatuen zweier junger Frauen zeichnen sich durch das Tragen von sehr viel Schmuck aus. Mauro Cristofani konnte wiederum feststellen, dass es sich um Goldschmuck handelt, wobei alle Einzelstücke in ähnlichen Exemplaren auch archäologisch nachweisbar sind. Besonders hinweisen möchte ich Sie auf das große, auf der Brust getragene, mit figürlichen Darstellungen verzierte Schmuckstück.


14. Dia

- Gesamtansicht UND DETAIL

Grabkomplex aus der Tomba Bernardini,

einem Fürstengrab in Praeneste (Palestrina),

Goldplatte mit 131 Tieren (Granulationstechnik)

680-660 v. Chr.

M. CRISTOFANI und M. MARTELLI 1983

S. 82-83, Kat. 13, Rom, Museo di Villa Giulia


Zum Vergleich zeige ich Ihnen einen etruskischen Goldschmuck, eine goldenen Platte (L: ca. 17,3 cm) aus einem Fürstengrab in Praeneste (Palestrina), welche der oder die Tote auf der Brust getragen hatte. Dargestellt sind 131 Tiere verschiedener Spezies sowie Fabelwesen, verziert mit der berühmten etruskischen Granulationstechnik94. Diese Technik ist von der Goldschmiedin Elisabeth Treskow (1898-1992) wiederentdeckt worden, die sich aus eigenem Interesse seit 1927 experimentell mit dieser Fragestellung beschäftigt hatte. An den Kölner Werkschulen, wohin sie 1948 als Leiterin der Gold- und Silberschmiedeklasse berufen worden war, wurde sie im Jahre 1956 zur Professorin ernannt. Im Jahre 1956 fand überdies die erste große internationale Etruskerausstellung nach dem II. Weltkrieg in Köln statt, anlässlich derer die Entdeckungen Frau Treskows auch der archäologischen Welt bekannt gemacht wurden95, die aber wieder in Vergessenheit geraten sind96. Ausserdem wurde auf diese Weise das Gelbgold, das wir hier sehen, auch bei uns langsam wieder Mode (zuvor hatte man sog. Altgold vorgezogen, das einen dunkleren Farbton besitzt und leicht rötlich ist), was durch die Ausstellungen Treasures of Tutankhamun (1972 in London und später an anderen Orten), `Gold der Skythen´ in Paris und `Gold der Daker´ in Köln seit den 1970er Jahren noch wesentlich verstärkt worden ist.


Plinius erwähnt in der vorhin zitierten Stelle auch die Initiation von Knaben, die wir natürlich nicht vergessen sollten, denn im Heiligtum der Minerva fand, wie gesagt, auch diese statt. Bei der männlichen Jugend von Rom hatte das Erreichen der Pubertät die feierliche Aufnahme in die Bürgerschaft zur Folge - geheiratet haben Männer in Athen zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt97, in Rom kam es vor, dass sie sehr bald nach Anlegen der Toga virilis auch heirateten98. Die rites de passage dieser tirones genannten jungen Männer resultierte nämlich, wie erwähnt, darin, dass sie mit ca. 15 Jahren die Männertoga anlegten99, und in eine Reihe von Ritualen eingebunden wurden, auf die ich noch zurückkommen werde.


15. Dia - WIEDERHOLUNG

Bronzestatuette einer `Spinnerin´ aus Nemi, London, British Museum, 2. Jh. v. Chr.

(rechts mit ergänztem Spinnrocken, Spindel und Spinnwirtel)

S. HAYNES 1989, 1404, Taf. 10a,b


Nach dem soeben Gesagten erscheint der Vorschlag von Sybille Haynes, dass die hier gezeigte Statuette in das Heiligtum der Diana von Nemi geweiht gewesen sein könnte, sehr plausibel. Diana, wie die Römer sie nannten, oder Artemis, wie sie bei den Griechen hieß, war ebenso wie in Rom die Göttin Fortuna Virgo für Frauen in genau dem Alter zuständig, das diese Statuette verkörpert - die ja öffentlich einen Teenager wiedergibt. Artemis/ Diana beschützte kleine Mädchen bis zur Pubertät und begleitete die jungen Ehefrauen bis zu dem Zeitpunkt, wenn sie ihr erstes Kind geboren hatten, weil erst durch die Geburt eines Kindes der Status der gyne (`Ehefrau´) bei den Griechen und der matrona bei den Römern erreicht war. Matrona - was üblicherweise mit `verheiratete Frau´ übersetzt wird, wurde die junge Frau also nicht automatisch durch die Eheschließung allein. Mit dem Einsetzen der dreitägigen Hochzeitszeremonien entfernte sich die junge Frau im Übrigen aus dem Einflußbereich der Artemis / Diana, und geriet in jenen der Aphrodite/ Venus, die ja bekanntlich die Göttin der (sexuellen) Liebe war.


Wie viele andere Götter der Römer war Aphrodite/ Venus nun aber keineswegs heimisch in Mittelitalien, sie hat vielmehr die in Rom zuvor für diesen Bereich zuständige Göttin Fortuna verdrängt. Als Fazit ist festzuhalten, dass diese Statuette, die das Spinnen von Wolle vorführt, theoretisch in die Heiligtümer von zwei ganz unterschiedlichen Göttinnen geweiht worden sein könnte, und zwar in beiden Fällen von einer jungen Frau, die der Altersstufe angehört haben kann, welche diese Statuette verkörpert: in Frage kommt 1.) die Göttin Diana, wie die von Nemi, aus der nach Ansicht von Sybille Haynes diese Statuette stammt. Der Anlass für die Weihung in dieses Heiligtum könnte sein, dass die junge Frau Abschied von ihrer Kindheit nimmt, wenn sie heiratet, wobei Diana ihre eigene Kindheit beschützt hat, und hoffentlich auch die ihrer Kinder beschützen wird - dabei ist zu bedenken, dass die Römer ja Ehen mit der erklärten Absicht eingingen, (eheliche) Kinder zeugen zu wollen, 2.) könnte eine derartige Statuette in das Heiligtum einer Göttin der Liebe geweiht worden sein, Fortuna oder Aphrodite/ Venus, da ja im Tempel des Semo Sancus in Rom eine Statue der Gaia Caecilia aufgestellt war (welche vermutlich die Liebesgöttin Fortuna darstellte), die gleichfalls Spinnrocken und Spindel in ihren Händen trug - und weil Bräute bei der Hochzeitszeremonie Spinnrocken und Spindel in den Händen trugen. Anlaß für die Weihung dieser Statuette in ein derartigen Heiligtum könnte gleichfalls die Heirat der jungen Frau sein.


16. Dia

Spulen und Spinnwirtel, Florenz, Museo Archeologico, 7./ 6. Jh. v. Chr., Impasto

M. TORELLI 2000, 135, 582, Kat. 129, 7. Jh. v. Chr.


Diese Photographien aus dem Katalog zu einer Ausstellung, die Mario Torelli im Jahre 2000 den Etruskern gewidmet hat, zeigt Ihnen etruskische Spulen und Spinnwirtel aus Impasto. Hierbei handelt es sich um einheimische etruskische, mit der Hand geformte Keramik, welche durch Polieren den schönen, hier sichtbaren Glanz annahm100. Wie diejenigen von Ihnen wissen, die entsprechende Ausgrabungserfahrung besitzen, kann man bei Körperbestattungen - wenn der Tote zusammen mit Beigaben bestattet worden ist - des Geschlecht des Bestatteten häufig bereits anhand der Beigaben feststellen. Die hier gezeigten Funde werden ins 7./ 6. Jh. v. Chr. datiert und befinden sich im Archäologischen Museum von Florenz. Sie stammen mit Sicherheit aus einem Frauengrab - wie Sie mir nach dem soeben Gesagten hoffentlich glauben werden.


17. Dia

S. HAYNES 1989, 1401-1404, Taf. 8,b-d; 9,a

Kopflose etruskische Bronzestatue, München, Antikensammlungen, `Spinnerin´, frühhellenistisch

Das dritte von Sybille Haynes gefundene etruskische Beispiel einer Frau, die Wolle spinnt, sehen Sie hier. Diese Plastik ist in frühhellenistischer Zeit entstanden. Es handelt sich, im Unterschied zu den zuvor gezeigten etruskischen Votivstatuetten, um eine lebensgroße Statue, und nicht etwa um eine Idealplastik, wie im Fall der zuvor betrachteten Statuetten, sondern um ein Portrait, sowie im Unterschied zu diesen privaten Weihungen um ein öffentlich aufgestelltes Bildwerk.


Glücklicherweise sind die Fundumstände dieser Plastik vergleichsweise gut bekannt, obwohl sie bereits 1834 entdeckt worden ist. Sie kam in der Etruskerstadt Vulci zu Tage und war offenbar rituell vor dem Haupttempel der Stadt bestattet worden. Wie Francesco Buranelli101 feststellen konnte, war die Statue in einem Behälter aus Travertinplatten, die mit Blei verbunden wurden, bestattet worden, wie der lateinischen Inschrift "F. C." zu entnehmen ist, die fulgur conditum bedeutet. Dennach hatte es sich bei diesem Behälter um ein Bidental102 gehandelt, in welchem die Statue nach einem Blitzeinschlag bestattet worden war, wie es der römische Kultus vorschrieb103. Bekanntlich waren die Etrusker Spezialisten auf dem Gebiet der Blitzlehre, zusammen mit der Leberschau und der Eingeweideschau setzten die etruskischen Priester dieses Wissen ein, um den Willen der Götter zu erkunden104.


All dies hat die Römer sehr stark interessiert, weshalb wir heute, obwohl das diesbezügliche etruskische Schrifttum verloren ist, zumindest aus der lateinischen Literatur etwas zu diesem Themenkomplex erfahren. Auch für andere antike Völker galt, dass man vom Blitz getroffene Bildwerke begrub, und Sybille Haynes nimmt sicher zu Recht an, dass diese Statue, deren Portraitkopf bei dem Blitzeinschlag verloren ging, deshalb bestattet worden war. Zusammen mit der Statue war ihre Basis gefunden worden, die möglicherweise eine Ehreninschrift für die portraitierte Frau sowie den Namen der Gottheit, der die Statue geweiht war, enthalten haben könnte. Leider ist diese Basis heute verloren105. Nach Ansicht von Sybille Haynes hatte es sich um eine Ehrenstatue für eine Aristokratin der Stadt Vulci gehandelt. Sie selbst macht keinen Vorschlag bezüglich des möglichen Anlasses dieser Aufstellung einer Ehrenstatue für eine Frau, welche als Spinnerin dargestellt ist, doch nach dem oben Gesagten kann man fragen, ob die Dargestellte dafür geehrt worden sein könnte, den Tempel, vor dem ihre Ehrenstatue Aufstellung fand, mit selbst gefertigten Textilien ausgestattet zu haben.


Interessanterweise ging der uns namentlich unbekannte etruskische (?) Künstler bereits ebenso vor wie die griechischen und römischen Künstler, die, beginnend mit der römischen Republik, auftragsgemäß Portraitstatuen verdienter römischer Bürger, und später der römischen Kaiser und ihrer Familien hergestellt haben. Beispiele derartiger republikanischer Portraits werden wir uns später noch anschauen.


Bei diesem Verfahren wurde nämlich ein ikonographisches Portrait der entsprechenden Person mit einem fremden Körper kombiniert, bei welchem es sich um die Kopie eines Statuentypus der griechischen Klassik oder der hellenistischen Kunst handelt - zumeist von Idealstatuen. Das Ergebnis kann künstlerisch sehr überzeugend sein, manchmal wirken diese Schöpfungen unfreiwillig komisch, und manchmal entsteht bei diesem Vorgang etwas völlig Neues. Hinzu kamen dann üblicherweise noch ein paar persönliche Attribute. In diesem Fall wurde ein klassischer griechischer Statuentypus mit ein paar Accessoires bereichert, die aus dem Vorbild einer Idealstatue ein Portrait machen: die Dame trägt etruskische Schnabelschuhe sowie zwei Ringe an den Fingern ihrer linken Hand.


Die Schuhe und der Fundort beweisen, dass es sich bei dieser Statue um das Portrait einer Etruskerin gehandelt hat - wie ihr Portraitkopf zu dem klassischen Statuentypus gepaßt hat, der für ihren Körper Verwendung fand, werden wir leider nie erfahren. Auch wissen wir nicht, ob diese Statue als einzige Ehrenstatue vor diesem Tempel in Vulci aufgestellt worden war. So sollen die Römer allein anläßlich der Eroberung der Etruskerstadt Volsinii 2000 Bronzestatuen erbeutet und nach Rom geschafft haben. Sicher nicht, um sie dort als Kunstwerke aufzustellen, sondern um das wertvolle Material anderweitig zu nutzen106.

[Ende der 3. Vorlesungssitzung].


[Die Vorlesungssitzungen am 4. und 11. Mai mußten ausfallen, weil ich krank war].



--------------
Fussnoten:


54 OCD3 (1996) 643 s. v. Goryn, Gortyn law code (V. EHRENBERG; L. F. NIXON; S. R. F. PRICE)..

55 OCD3 (1996) 1489-1490 s.v. textile production (J. P. WILD).

56 OCD3 (1996) 1574 s.v. Uruk (modern Warka) (A. T. L. K. - nicht erwähnt in der Liste der Contributors).

57 DNP 12/1 (Stuttgart 2002) 222 (H. J. NISSEN).

58 Das Paludamentum, der Feldherrnmantel, war komplett mit Purpur gefärbt, H. C. SCHNUR 1988, 68, Anm. 54 (zu Iuvenals 6. Satire): "Der Befehlshaber trug bereits das paludamentum, den purpurroten Feldherrnmantel, den er am Kapitol nach Befragung der auspicia, durch die er das imperium erhielt, anlegte".

59 H. R. GOETTE 1990, 2. Er verweist auf W. Trillmich, MM 5, 1974, 185 f.

60 vgl. dagegen F. PRAYON 2010, 98: Tinia (Iuppiter).

61 H. R. GOETTE 1990, 21, Taf. 1,1, der sich auf K. Fittschen beruft; vgl. für eine Datierung der Statue ins 2. Jh. v. Chr. unten, zur 10. Vorlesungssitzung.

62 T. FRÖHLICH 1991, Taf. 7.

63 C. WEBER-LEHMANN 1999.

64 Das Tragen von Purpur wurde von den Römern als Ausdruck des Strebens nach Königswürde verstanden, s. M. BEARD, J. NORTH and S. PRICE 1998 II, 352: "Cicero, On Divination 1.118-19 [es geht um `wunderbare´ Besonderheiten von Opfertieren, die angekündigt hätten, dass Caesar ermordet werden würde] ... the events that took place just before the murder of Caesar. It was the day when for the first time Caesar sat on a golden throne and appeared in a purple robe", mit Anm. 2: "Ostentatious symbols of monarchy".

65 s. u. zur 10. Vorlesungssitzung.

66 C. WEBER-LEHMANN 1999.

67 F. PRAYON 2006, 91-99.

68 S. HAYNES 1989, 1404, Taf. 10,c,d.

69 C. HÄUBER, `Venus vom Esquilin´, unveröffentlichtes Manuskript.

70 KlPauly (München 1979) 313-314 s. v. Spinnen, Spinnerei (S. OPPERMANN); cf. OCD3 (1996) 1489-1490 s.v. textile production (J. P. WILD); DNP 12/1 (Stuttgart 2002) 222-228 s.v. Textilherstellung; Textilkunst (H. J. NISSEN; A. PEKRIDOU-GORECKI; D. WILLERS).

71 M. TORELLI 1984, 34 ff; G. COLONNA 1991, 229, Abb. 15; 19; E. LA ROCCA et al. 2010, 164, 253, Kat. Nr. I.9 (D. LIBERATORE).

72 KlPauly 5 (München 1979) 510-511 s.v. Tanaquil (G. RADKE).

73 so DNP 2 (Stuttgart 1997) 881 s.v. Caecilia [1] C. Gaia.

74 so DNP 12/1 (Stuttgart 2002) 8 s.v. Tanaquil (P. AMANN).

75 L. RICHARDSON 1992, 347 s.v. Semo Sancus Dius Fidius, Aedes.

76 F. COARELLI, "Semo Sancus in Colle, aedes, fanum, sacellum, templum", in: LTUR IV (1999) 263-264.

77 z. T. wörtliches Zitat von H. R. GOETTE 1990, 4-5.

78 C. FAYER 1986, 2 with ns. 8-11.

79 C. FAYER 1986, 2.

80 C. FAYER 1986, 2-5.

81 cf. OCD3 (1996) 1489-1490 s.v. textile production (J. P. WILD).

82 s. C. HÄUBER, Isis et Serapis, unveröffentlichtes Manuskript.

83 bei den Griechen ebenfalls.

84 leider nicht, dieses Kapitel der Vorlesung ist wegen meiner Erkrankung ausgefallen; vgl. M. TORELLI, M. MENICHETTI, G. L. GRASSIGLI 2008, 62.

85 A. CLARIDGE 1998, 112, Abb. 45.

86 C. HÄUBER, `Venus vom Esquilin´, unveröffentlichtes Manuskript.

87 OCD3 (1996) 888 s. v. Lucretia (RE 38), wife of L. Tarquinius Collatinus (A. Drummond).

88 J. CARCOPINO 1982, 99.

89 M. Beard, J. North, S. Price 1998 II, 12-14.

90 DNP 6 (1999) 1200 s.v. Lavinium (G. UGGERI, Übersetzung: H. DIETRICH).

91 A. CARANDINI und R. CAPPELLI 2000, 200 (R. CAPPELLI).

92 KlPauly 3 (München 1979) 137 s.v. Karthago (G. SCHROT); T. P. WISEMAN 2008, 8, 10 mit Anm. 32.

93 M. Beard, J. North, S. Price 1998, 13-14, 1.5b(iii).

94 F. PRAYON 2010, 107-108, Abb. 18.

95 dies hatte ich während meines Etruskologiestudiums in Köln gehört; vgl. die jetzt zusammengestellte Literatur im Ordner Fotokopien zu dieser Vorlesung.

96 Wenn ich die Vorlesung wiederholen sollte, Beispiele bringen. Prof. Prayon, den ich um Literaturangaben gebeten hatte, kannte Frau Treskows Forschungsergebnisse gar nicht.

97 mit ca. 30 Jahren, s. C. HÄUBER, Manuskript `Venus vom Esquilin´, unveröffentlicht.

98 M. TORELLI 1990, 97-99, s. auch die Tonstatuen von jungen Männern aus Lavinium, die später besprochen werden sollen; KlPauly 3 (München 1979) Sp. 1081-1083 s. v. Matrimonium (E. BUND); Sp. 1082: "Zu den absoluten Ehevoraussetzungen gehörten pubertas und Geschäftsfähigkeit".

99 M. TORELLI 1990, 97.

100 vgl. F. PRAYON 2010, 102.

101 s. S. HAYNES 1989, 1403 und ebenda S. 1657-1658 (F. BURANELLI), der H. BLANCK, AA 1968, 552-553 zu einem ausgegrabenen Bidental in Luni zitiert.

102 H. C. SCHNUR 1988, 75 mit Anm. 81 (zu Iuvenals 6. Satire): "Ein fulgurator, der vom Blitz Getroffenes (der Ort hieß bidental) nach der disciplina Etrusca vergrub (condere fulgur)".

103 H. BLANCK, AA 1968, 552 mit Anm. 34: "Zwischen Piscina und Tempel [in Luni] stieß man nun auf eine rechteckige etwa 2,50 x 2 m messende Grube, die durch den Fund einer Marmorplatte mit der Inschrift FVLGVR CONDITVM [mit Photo] als ein Bidental identifiziert ist. Hier hatte man also einst, wie es der römische Kultus verlangte, von einem Blitzschlag getroffene Dinge begraben und somit gleichsam den Blitz selbst bestattet".

104 vgl. F. PRAYON 2010, 64.

105 S. HAYNES 1989, 1403.

106 F. PRAYON 2010, 90-91.


Go to main page: https://fortvna-research.org/Digitale_Topographie_der_Stadt_Rom/

 

Datenschutzerklärung | Impressum