Dr. Chrystina Häuber, Universität Tübingen
7. Vorlesungssitzung
Di, 15. Juni 2010
Sehr geehrte Damen und Herren,
willkommen zur 7. Vorlesungssitzung !
Zu Anfang möchte ich eine Zusammenfassung zum Kapitolshügel, zum Tempel für Iuppiter Optimus Maximus und zum Charakter dieses Iuppiters geben. Dies hatte ich mir für das Ende der heutigen Vorlesungssitzung ohnehin vorgenommen, doch da ich nach der letzten Stunde gefragt worden bin, was ich Sie diesbezüglich in der Prüfung fragen könnte, erledigen wir das gleich zu Beginn alles zusammen.
Bitte erlauben Sie mir daher, dass ich heute etwas länger lese, eigentlich bräuchten wir für diese Vorlesung ein eigenes Tutorium, falls ich diese Vorlesung noch einmal wiederholen sollte, werde ich gleich ein Tutorium mit anbieten.
Grundsätzlich ist zu allen akademischen Prüfungen, die ich selbst als Prüfling erlebt habe, und zu den Prüfungen nach meiner Vorlesung zur römischen Kaiserzeit hier im SS 2009, die ich zum 1. Mal als Dozentin selbst durchführte, Folgendes zu sagen: entweder wird der Prüfling aufgefordert, selbst zu formulieren, was in der Vorlesung behandelt worden ist, oder der jeweilige Dozent stellt eine Frage zu einer Abbildung, oder er stellt eine Frage, die nicht mit einem Bild unterstützt wird.
2. Dia
links:
O. RICHTER 1901, S. 122, Abb. 9,
Zeichnung: Grundrissrekonstruktion des IOM-Tempels, unter Berücksichtigung der diesbezüglichen antiken Schriftquellen
rechts:
A. Mura Sommella 2000, S. 25, Abb. 26,
A. Mura Sommella: Grundriss des IOM-Tempels
Eine wirklich klassische Prüfungssituation zu unserer Vorlesung könnte z. B. sein: ich zeige Ihnen dieses Dia ohne Kommentar und frage Sie: "Haben Sie das schon mal gesehen ?" [alle lachen] Lässt sich diese Frage beantworten ? Also.
Oder ich könnte Sie z. B. auffordern, mir etwas über den Kapitolshügel, über den Tempel des Iuppiter Optimus Maximus oder über den oder die Götter mitzuteilen, welche in diesem Tempel verehrt wurden, oder welche Veranstaltungen und Zeremonien in diesem Tempel und/ oder im heiligen Bezirk dieses Tempels stattfanden, oder was sich alles im heiligen Bezirk dieses Tempels befunden hat.
Dazu könnte ich Ihnen ein Bild zeigen oder nicht, Sie können aber selbstverständlich auch etwas zu diesem Thema mitteilen, was auf dem von mir gezeigten Bild gar nicht sichtbar ist. Anders ausgedrückt, wenn Sie Wissen zu einer Themenstellung haben, ist es in mündlichen Prüfungen immer sinnvoll, es mitzuteilen, das zeigt Ihren unter Umständen beträchtlichen Kenntnisstand und außerdem gewinnen Sie Zeit. Andernfalls kann es passieren, wenn Sie nämlich nur mit einem Wort oder mit einer kurzen Bemerkung antworten, obwohl Sie sehr viel mehr wissen, dass die nächste Frage kommt, die Sie womöglich gar nicht beantworten können. Fragen Sie auch immer nach, wenn Sie eine mündlich gestellte Frage akustisch oder inhaltlich nicht verstanden haben. Da dies eine Überblicksvorlesung ist, werde ich Ihnen allerdings mehr als nur eine Frage stellen, das heißt, anders ausgedrückt, wenn ich Ihnen die Frage stelle: "was können Sie über die Inhalte dieser Vorlesung sagen", werden Sie nicht Gelegenheit haben, die gesamte Prüfungszeit frei zu einem von Ihnen selbst vorbereiteten Thema zu sprechen.
Wenn ich Ihnen Bilder zeige, werden das meine Power-Point-Präsentationen sein, ich werde, wenn Ihre Prüfungstermine feststehen, in der Anwesenheitsliste nachschauen, an welchen Vorlesungssitzungen die jeweiligen Prüflinge nicht anwesend waren und mich dann auf die Bilder beschränken, die der jeweilige Prüfling tatsächlich gesehen haben kann. Wenn Sie viele Bilder erkannt und entweder selbst spontan Ihr Wissen zu den durch die Dias verkörperten Thematiken äußern können, oder alternativ, wenn Ihnen nicht gleich etwas dazu einfällt, Ihnen auf meine unterstützenden Fragen hin die entsprechende Fakten aber einfallen, werden Sie mit Sicherheit die Prüfung bestehen. Im Übrigen gehe ich einfach zur nächsten Frage über, wenn Ihnen zu einem Dia nichts einfällt.
Zum Kapitolshügel sollten Sie seine Lage innerhalb der Stadt Rom und zum Tiber wissen. Auch die folgenden Informationen gehören zu dem Wissen, das man in einer Prüfung abfragen könnte: der Kapitolshügel gliedert sich in drei Teile, die antike Namen haben. Heute befinden sich hier bedeutende nach-antike Architekturen, u. a. ein weltberühmtes Museum, das einen Namen hat, den man sich wegen seiner Lage gut merken kann, und in dem sich einige der antiken Statuen befinden, die ich Ihnen in meiner Vorlesung bereits gezeigt habe und noch zeigen werde.
Bislang haben wir uns hauptsächlich mit der südlichen Erhebung des Kapitolshügels beschäftigt, mit dem Capitolium, wo der Tempel des Iuppiter Optimus Maximus stand. Hierbei handelt es sich um einen der drei Teile, in die sich der Kapitolshügel gliedert.
Bezüglich der Behandlung des Tempels des Iuppiter Optimus Maximus - wie im Falle aller anderen antiken Bauwerke - sind die einschlägigen wissenschaftlichen Lexika wie folgt gegliedert. Ich nehme an, dass Sie dies in Ihrem Tutorium gelernt haben. Wenn nicht, dann genügt ein Blick in das Werk, das mit voller Berechtigung den größten Raum im Apparat zu unserer Vorlesung einnimmt, das Lexicon Topographicum Urbis Romae (LTUR).
Die Stichworte in diesem Lexikon sind wie folgt gegliedert: Zuerst kommt immer eine Liste der antiken Schriftquellen, dann die Liste der Schriftzeugnisse (das heißt Inschriften), die inhaltlich etwas mit dem Thema zu tun haben. Auch diese sind nach einem klaren Schema geordnet, zuerst werden alle Namen genannt, mit denen die entsprechende Architektur in der Antike bezeichnet worden ist, danach wurde der lateinische Titel des Eintrags im LTUR gewählt - wie erwähnt, ist es am einfachsten im Band VI, der die Indices enthält, den Eintrag zu suchen, den man lesen will.
Danach werden in den Einträgen des LTUR die antiken Quellen in der chronologischen Reihenfolge ihrer Entstehungszeit diskutiert. Als nächstes werden die architektonischen Reste, die in der Forschung mit der fraglichen, aus antiken Schriftquellen bekannten Architektur identifiziert worden sind, vorgestellt, wobei es diesbezüglich verschiedene Meinungen geben kann, dann folgt eine Zusammenfassung der Forschungsgeschichte, chronologisch nach dem Erscheinungsdatum dieser Werke geordnet, diese enthält gegebenenfalls auch Kommentare zu neueren Ausgrabungsergebnissen, und schließlich begründet der Autor des jeweiligen Beitrags seine eigene Meinung zu dem behandelten Sachverhalt.
Das hört sich alles furchtbar trocken an, erweist sich jedoch seit Jahrhunderten - so lange gibt es nämlich derartige Lexika zur Topographie der antiken Stadt Rom bereits - als ausgesprochen praktisch. Die Quintessenz derartiger Forschungen hatte ich in Form von Fragen bereits in meine letzte Vorlesungssitzung eingebaut und wiederhole sie hier noch einmal. Ich habe, als ich dies zum ersten Mal vortrug, nicht dazu gesagt: Aufgepasst, das könnte in der Prüfung drankommen, jetzt sage ich es dazu, und ich kann mir vorstellen, dass Sie in Zukunft gleich bemerken werden, wenn ich derartige mögliche Prüfungsfragen in meinen Vorlesungstext einbaue.
3. Dia - WIEDERHOLUNG
links:
B. ANDREAE et al. 2004, S. 21, Abb. 8, Rekonstruktionsmodell: Veji, Tempel des Portonaccio-Heiligtum, Dat.: Ende 6. Jh. v. Chr.
rechts:
M. Albertoni, I. DAMIANI 2008, Titelbild, S. 16, Abb. 5,
Rekonstruktionszeichnung: der IOM-Tempel in archaischer Zeit (Grafica Inklink, Firenze)
Vom archaischen Tempel des Iuppiter Optimus Maximus gibt es keinerlei Darstellungen, was, wenn man seine Bedeutung und die Dauer seines Bestehens bedenkt (509-83 v. Chr.), nicht nur sehr bedauerlich, sondern eigentlich auch verwunderlich ist. Ich bin daher gezwungen, Ihnen rechts auf diesem Dia noch einmal die von Albertoni und Damiani 2008 publizierte Rekonstruktion zu zeigen. Wie gesagt, handelt es sich bei diesem Bau um einen Tempel etruskischer Bauart. Sie sehen links noch einmal das Rekonstruktionsmodell des Tempels vom Portonaccio-Heiligtum in der Etruskerstadt Veji, der gleichfalls am Ende des 6. Jhs. v. Chr. entstanden ist.
Bitte merken Sie sich, dass diese etruskischen Tempel an einigen Besonderheiten erkennbar sind: Hinter dem Giebeldreieck befindet sich keine Rückwand (wie beim griechischen Tempel), deshalb besitzen sie weder ein Relief noch freiplastische Statuen im Giebel, der Firstbalken ist vorn mit einer reliefverzierten Terrakottaplatte geschmückt, dem Columen Antepagment, und die Akrotere auf dem Dach bzw die Freiplastiken auf dem Firstbalken sind ebenso wie alle übrigen Teile der Bauplastik einschließlich der Dachziegel farbig gefasste Terrakotten. Dies trifft also auch für den hier wiedergegebenen archaischen Tempel des Iuppiter Optimus Maximus in Rom zu, dessen Kultbild des Iuppiter gleichfalls eine farbig gefasste Tonplastik war199.
Nun also meine, in den Text der letzten Vorlesungssitzung eingebauten Prüfungsfragen:
Die Überschrift lautete:
Was wissen wir über den Tempel des Iuppiter Optimus Maximus (IOM) auf dem Capitolium in Rom ?
Meine Fragen und die dazu gegebenen Antworten lauteten (- inzwischen habe ich diese Antworten anhand der Texte der früheren Vorlesungssitzungen noch etwas erweitert):
Wer ist Iuppiter ? Der oberste latinische Gott.
Wer sind die Bauherren des IOM-Tempels ? Die etruskischen Könige von Rom, Tarquinius Priscus und sein Sohn Tarquinius Superbus (nach der Tradition Könige in Rom 616-578 v. Chr. bzw. 534-509 v. Chr.)
Wer hat den IOM-Tempel geweiht ? Angeblich ist der Tempel erst nach der Vertreibung des Tarquinius Superbus vom 1. Consul der römischen Republik, M. Horatius, geweiht worden (am 15. September 509 v. Chr.).
Wie ist die Architektur des archaischen IOM-Tempels zu definieren ? Es handelt sich um einen Tempel etruskischer Bauart
Wer hat die archaische Kultstatue des Iuppiter im IOM-Tempel gemacht ? Der Künstler Vulca aus der Etruskerstadt Veji. Es handelte sich um eine farbig gefasste Terrakottaplastik, das Gesicht der Statue war mit Mennige rot gefärbt, ihr Körper mit einer mit Palmenzweigen und Viktorien geschmückten Tunica und einer purpurnen, goldgestickten Toga bekleidet - die gleiche Kleidung trugen auch die Triumphatoren beim Triumphzug, die sich ebenfalls das Gesicht rot färbten
Wer waren die Bauleute, die den archaischen IOM-Tempel errichtet haben ? Die Bewohner der Stadt Rom
Welche Funktion erfüllte der archaische IOM-Tempel ? Er diente den Belangen des Königs der Stadt Rom und seiner Bürger.
Alle diese Fragen könnten sie natürlich kurz oder ausführlich beantworten.
Ferner hatte ich Ihnen Folgendes vorgetragen:
Was ist demnach der archaische Tempel des Iuppiter Optimus Maximus ? Wenn man für diese Definition die Auftraggeber heranzieht, ganz klar ein römischer Tempel. Dass es sich bei den in Rom herrschenden Tarquiniern, genealogisch gesehen, um eine korinthisch-etruskische Familie handelt, und dass Architektur und Ausstattung des von ihnen erbauten archaischen Tempels etruskisch sind, ändert nichts an der Tatsache, dass die Auftraggeber des Tempels in ihrer Eigenschaft als Könige von Rom agiert haben.
Soweit also die Wiederholung aus der letzten Stunde.
Bezüglich der soeben genannten "Belange des Königs der Stadt Rom" hatte ich Ihnen im Laufe meiner Vorlesung mitgeteilt, dass Tarquinius Superbus und sein Sohn Sextus Tarquinius gegen einzelne Städte in Latium Krieg führten, sowie, dass die aktuelle Forschung davon ausgeht, dass sich die Tarquinier mit dem Bau dieses Iuppitertempels auf dem Kapitolshügel vorgenommen hatten, den Kult des Latinischen Städtebundes des Iuppiter Latiaris auf dem Mons Albanus (Monte Cavo) in Latium zu ersetzen. Dieses Vorhaben ist ihnen auch wunschgemäß gelungen.
Auf die "Belange der Bürger der Stadt Rom" in Bezug auf den Tempel des Iuppiter Optimus Maximus bin ich in der vergangenen Vorlesungssitzung eingegangen und werde dieses Thema heute vertiefen und fortsetzen. Und zwar erscheint mir das deshalb notwendig, weil ich auf Grund einer diesbezüglichen Frage nach der letzten Stunde den Eindruck gewonnen habe, die volle Tragweite dieser Vorgänge nicht gründlich genug erklärt zu haben.
Zunächst bin ich in der letzten Vorlesungssitzung auf die Initiation der jungen Männer in die Erwachsenenwelt eingegangen. Diese Riten bestanden in einem Kleiderwechsel und einem Haarschnitt mit Weihe einiger der abgeschnittenen Locken, sowie verschiedenen `Proben´. Der Kleiderwechsel führte nicht nur dem jungen Mann selbst, sondern vor allem auch seiner Umgebung deutlich vor Augen, dass sein Status vom Kind zum Erwachsenen gewechselt hatte, wir würden sagen, dass für ihn nun ein neuer Lebensabschnitt begann.
4. Dia - WIEDERHOLUNG
Roma medio repubblicana 1973, S. 186-187, Kat. Nr. 279,
- Farbig gefasste Terrakottastatuette eines Epheben (Hercules ?), Rom, Kapitolinische Museen, Antiquarium Comunale, vom Esquilin, vielleicht aus dem sog. Heiligtum der Minerva Medica, 3. Jh. v. Chr.
- S. 280, Kat. Nr. 280, farbig gefasste Terrakottastatuette eines Epheben), Rom, Kapitolinische Museen, Antiquarium Comunale, vom Esquilin, vielleicht aus dem sog. Heiligtum der Minerva Medica, 3. Jh. v. Chr.
Zu den `Proben´ gehörte, wie ich Ihnen gezeigt hatte, auch eine physische `Musterung´. Bei der ganzen Prozedur der Initiation ist zu beachten, dass sie in verschiedenen Heiligtümern vonstatten ging, Mario Torelli spricht im Zusammenhang der Initiationen außerdem nicht nur von der `Vorbereitung´, sondern auch von der öffentlichen Zurschaustellung von `Proben´200.
So war der Gott Iuppiter Optimus Maximus ganz offensichtlich für einen anderen Teil der Initiation von jungen Männern zuständig als die Göttin Minerva oder andere weibliche Gottheiten. Die beiden hier noch einmal gezeigten Terrakottastatuetten, die junge Römer im Zusammenhang ihrer Initiation, und zwar bei ihrer physischen `Musterung´ darstellen, stammen z. B. aus dem sog. Tempel der Minerva Medica auf dem Esquilin. Ich hatte Ihnen auch farbig gefasste Terrakotten aus Griechenland gezeigt, die ebenfalls junge Männer bei jenem Teil ihrer Initiation in die Erwachsenenwelt zeigen, die in einer physischen `Musterung´ bestand. Die auffällig weiblichen Züge der hier gezeigten römischen Statuetten von jungen Männern, mit ihren `weiblichen´ Taillen und `weiblich´ gerundeten Oberschenkeln, sind gleichfalls typisch für griechische Gepflogenheiten bei der Initiation von jungen Männern und Frauen, wie ich Ihnen berichtet hatte: auch in Griechenland wurden sowohl junge Männer als auch junge Mädchen in dieser Phase ihres Lebens in bildlichen Darstellungen `unnatürlich´ androgyn wiedergegeben.
Daran anschließend war ich in der letzten Vorlesungssitzung darauf eingegangen, was von den jungen Römern nach ihrer Initiation erwartet wurde: Einerseits die Verwaltung des Stadtstaates Rom, andererseits erfolgreicher Militärdienst, wobei sie dies alles selbst können mussten - es gab ja weder spezialisierte Berufssoldaten, noch den Lehrberuf des Verwaltungsbeamten - beide Tätigkeitsfelder waren obendrein noch dicht miteinander verzahnt. Um die jungen Männer während ihrer Initiation auf diesen Bereich vorzubereiten, wurden sie in einem feierlichen Umzug sowohl auf das Capitolium zum Tempel des Iuppiter Optimus Maximus, als auch auf das Forum Romanum geführt, das heißt zu den beiden Stätten ihres zukünftigen Wirkens. Dies betraf tatsächlich alle frei geborenen männlichen Bewohner Roms, denn die jungen Adeligen konnten sich um Magistraturen bewerben und hatten somit die Aussicht zukünftig Mitglied im Senat zu werden.
Die vorhandenen Magistraturen waren im sog. cursus honorum in einer bestimmten Reihenfolge zu absolvieren, doch ehe sich die jungen Adeligen für die niedrigste Magistratur bewerben konnten, mussten sie immerhin 10 Jahr Militärzeit absolviert haben (!)201. Die übrigen frei geborenen jungen Römer betrachteten das Forum Romanum und das Capitolium aber keineswegs weniger als ihr ureigenstes Wirkungsfeld, denn hier fanden die meisten Volksversammlungen statt, mit denen sie, gemeinsam mit dem Adel, ihre Republik regiert haben, und natürlich waren auch sie zum Militärdienst verpflichtet. Kehren wir nun zum Tempel des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Capitolium zurück. Der archaische Tempel des Iuppiter Optimus Maximus brannte 83 v. Chr. bis auf die Grundmauern nieder und wurde durch einen 69 v. Chr. von Q. Lutatius Catulus geweihten Neubau, der auf denselben Grundmauern in gleicher Größe und annähernd gleicher Gestalt errichtet worden war, ersetzt202.
5. Dia - WIEDERHOLUNG
M. Albertoni, I. DAMIANI 2008, S. 26, Abb. 23,
Denar des Paetilius Capitolinus: die Fassade des IOM-Tempels (43 v. Chr.)
Der neue Tempel, den wir hier noch einmal auf diesem Dia sehen, wies allerdings auch signifikante Neuerungen auf: im Unterschied zu seinem archaischen Vorgängerbau hatte er z. B. einen hinten geschlossenen Giebel und Giebelfiguren und das Kultbild war ein von dem griechischen Künstler Apollonios geschaffenes Gold-Elfenbeinbild. Wir wissen aus Schriftquellen, dass als Vorbild für dieses kolossale griechische Kultbild des Iuppiter Optimus Maximus das kolossale Kultbild des Zeus in seinem Tempel in Olympia in Griechenland (nach 438 v. Chr.) des Künstlers Phidias aus Athen gedient hatte, das in der Antike als eines der 7 Weltwunder galt203.
6. Dia
A. STEWART 1990 II, Abb. 372,
Hadrianischer Sesterz, geprägt in Elis in Griechenland, 133 n. Chr. Vorderseite: Kopf des Zeus nach rechts. Gemeint ist die Kultstatue seines Tempels in Olympia, Künstler: der Athener Phidias (nach 438 v. Chr.), Rückseite: linke Profilansicht der ganzen Statue
Die auf dieser hadrianischen Münze wiedergegebene Kultstatue des Zeus in Olympia von dem Athener Künstler Phidias war ein 12 m hohes, kolossales Goldelfenbeinbild. Diese Größe machte es natürlich unmöglich, genaue Kopien der Statue anzufertigen, wobei die moderne Forschung ohnehin davon ausgeht, dass es verboten gewesen sein muss, von Kultbildern Gipsabgüsse zu machen, um die Statuen zu kopieren. Hinzu kam in diesem Fall, dass diese Statue ein Goldelfenbeinbild war und überdies die Gewänder des Zeus mit Verzierungen aus Glasfluss versehen waren, was ein Abgießen dieses Kunstwerks ohnehin unmöglich machte.
Die hier gezeigte, im Durchmesser nur 3 cm messende Münze ist die einzige Darstellung der ganzen Kultstatue des Zeus in Olympia, die wir besitzen. Vom Kultbild des Iuppiter Optimus Maximus in seinem Tempel auf dem Capitolium in Rom, das nach dem Vorbild dieser klassischen Zeusstatue geschaffen worden war, besitzen wir leider überhaupt keine bildlichen Darstellungen. Ich zeige Ihnen diese Münze daher nur, damit Sie eine ganz vage Vorstellung bekommen, wie ungefähr das Kultbild des Iuppiter Optimus Maximus in dem 69 v. eingeweihten Neubau seines Tempels in Rom ausgesehen haben mag.
7. Dia - WIEDERHOLUNG
M. Albertoni, I. DAMIANI 2008, Titelbild, S. 16, Abb. 5,
Rekonstruktionszeichnung: der IOM-Tempel in archaischer Zeit (Grafica Inklink, Firenze)
Die Zusammenfassung dessen, was ich Ihnen in der letzten Stunde über den Gott Iuppiter Optimus Maximus vorgetragen habe, lautet: Iuppiter Optimus Maximus ist der oberste Gott der Römer, der für Recht und Ordnung, und somit auch für die Wahrung von Verträgen zuständig ist, die seine Römer mit fremden Mächten schließen (natürlich auch für die Wahrung von Verträgen, die die Römer untereinander schließen). Er ist ein Gott des himmlisches Lichtes und ein Himmelsgott, der auf Anhöhen verehrt wird, weshalb sein Tempel auf dem Kapitolshügel steht. Er ist ferner ein Gott der Blitze und des Wetters. "Als oberster Staatsgott ist Iuppiter auch Gott des politischen Erfolges, das für Rom oft gleichbedeutend mit Kriegsglück war"204. Es ist somit nur folgerichtig, dass Tausende von Verträgen mit ausländischen Mächten in Form bronzener Inschriften in seinem heiligen Bezirk auf dem Capitolium, der Area Capitolina, öffentlich ausgestellt waren.
Hierzu müssen Sie sich vergegenwärtigen, dass die Römer nicht wie wir in Deutschland in einem säkularen Staat lebten, was bedeutet, dass sie ihre Verträge, obwohl diese von den Oberbeamten (consules, praetores) vorgeschlagen wurden, und jeweils vom Senat und vom römischen Volk ratifiziert worden waren205, dennoch mit dem Wirken ihres obersten Gottes Iuppiter erklärt haben. Ferner wurden diese Verträge nicht in Buchform veröffentlicht, und da es auch andere moderne Medien, wie Zeitung, Radio und Fernsehen nicht gab, in denen sich Bürger moderner Staaten über derartige Sachverhalte informieren können, war die Ausstellung dieser Verträge im Heiligtum des Iuppiter Optimus Maximus die einzige Möglichkeit, diese Informationen den Bewohnern der Stadt Rom bekannt zu machen. Hinzu kam, dass der heilige Bezirk des Iuppiter Optimus Maximus täglich von zahlreichen Touristen aus der ganzen damaligen Welt besucht wurde, die auf diese Weise ebenfalls informiert werden konnten.
Weitere "Belange" der Bürger der Stadt Rom, für die der Gott Iuppiter Optimus Maximus zuständig war:
Alle frei geborenen jungen Männer aus Rom vollzogen im Zusammenhang ihrer Initiation in die Erwachsenenwelt ein Opfer vor dem Tempel des Iuppiter Optimus Maximus auf dem Capitolium. Auch zu diesem Sachverhalt müssen wir Weiteres wissen, um die Tragweite dieses Rituals überhaupt verstehen zu können. Wir müssen uns auch in diesem Zusammenhang vergegenwärtigen, dass die Römer nicht wie wir in Deutschland in einem säkularen Staat lebten, wo wir gegenwärtig z. B. bei Bewerbungen gar nicht mehr gefragt werden dürfen - wie noch in meiner Kindheit üblich - ob wir irgendeiner Religionsgemeinschaft angehören. Im antiken Rom gab es zum Vorgang der Initiation also keinerlei Alternative, oder anders ausgedrückt, jeder junge Mann dieses Alters musste sich diesen Initiationsriten unterziehen. Außerdem beinhaltete diese Initiation wesentlich mehr als z. B. in christlichen Religionsgemeinschaften die Kommunion, die Firmung oder die Konfirmation, obwohl letztere mit der römischen Initiation von Jungen und Mädchen gemeinsam hat, dass sie ungefähr im gleichen Alter stattfindet (die Konfirmation im 14. Lebensjahr, die Initiation für junge Römerinnen etwas früher, mit 12 Jahren, die Initiation für junge Römer etwas später, mit 15 Jahren).
Der gravierende Unterschied der antiken Initiation bestand nämlich darin, dass die jungen Männer in Rom auf diese Weise mit ca. 15 Jahren206 einen Status erreichten, der zivilrechtlich unserer Volljährigkeit entspricht, die in meiner Jugend erst mit 21 Jahren und heute bereits mit 18 erreicht wird - ganz ohne von einem besonderen Ritual begleitet zu sein. Und zwar deshalb, weil bei uns Schulzwang herrscht und die staatlich abgesegneten Lehrpläne vorschreiben, was in allen Schultypen `durchgenommen´ wird. Nicht von ungefähr wurde das Abitur ja früher auch als `Reifeprüfung´ bezeichnet. Bei den Römern fand dagegen ein Teil der Erziehung und Vorbereitung auf das Erwachsenenleben in Heiligtümern statt. Für die jungen Römerinnen hatte die Initiation ins Erwachsenenleben dagegen keine Verbesserung ihres zivilrechtlichen Status zur Folge. Am Tage vor ihren ca dreitägigen Initiationsriten galten sie noch, genau wie die Jungen, als Kinder und unterstanden der `Gewalt´ ihres Vaters oder der eines gesetzlichen Vormunds. Da die jungen Römerinnen im Zusammenhang ihrer Initiation verheiratet wurden, hatte dies zivilrechtlich für sie zur Folge, dass sie (rechtlich betrachtet) nach dem Abschluß ihrer Initiationsriten der `Gewalt´ ihres Ehemannes unterstanden207.
Die jungen Römer vollzogen im Zusammenhang ihrer Initiationsriten vor dem Tempel des Iuppiter Optimus Maximus nicht nur ein Opfer, sondern entrichteten, weil sie zuvor die Toga virilis angelegt hatten, aus diesem Anlass einen Geldbetrag in die Tempelkasse des Iuppiter Optimus Maximus. Ob dieses Opfer der Juventas galt, die in der Vorhalle der Cella der Minerva eine aedicula (ein kleines Tempelchen) hatte, dem Liber (Dionysos) oder dem Iuppiter Optimus Maximus selbst ist unsicher208. Auch für jede Geburt musste in Rom in einem anderen Heiligtum (dem der Iuno Lucina) eine Gebühr entrichtet werden, und für jeden Toten eine Münze in einem weiteren Heiligtum (dem der Libitina, innerhalb der archaischen Nekropole auf dem Esquilin)209. Hierbei haben wir es mit einer typisch archaischen Methode zu tun, eine Bevölkerungsstatistik zu führen210.
Im Fall des Opfers der jungen Männer auf dem Capitolium und der anschließenden Zahlung eines Geldbetrages in die Tempelkasse des Iuppiter Optimus Maximus konnte demnach unschwer festgestellt werden, wie viele neue Soldaten der Stadtstaat Rom in diesem Jahr hinzugewonnen hatte - und darauf kam es an, denn Kriege führten die Römer in jedem Jahr, sie hatten während der Republik sogar nicht nur eine bestimmte Jahreszeit, sondern die exakte Dauer dieser Kriege (2 Monate) in ihrem Kalender dafür vorgesehen.
Im Übrigen war Rom während der Republik schon sehr viel größer als Sie vielleicht vermutet haben, die Censoren des Jahres 343 v. Chr. zählten z. B. 126.400 Bewohner, aber fünf Jahre später waren es bereits 347.000 Bewohner, wie Domenico Palombi211 den antiken Schriftquellen entnommen hat. Sie finden seinen Beitrag im Ausstellungskatalog Età della Conquista 2010 im Apparat zur Vorlesung. Leider nennen diese Quellen nicht, wie viele Jugendliche in diesen beiden Jahren ihre Initiationsriten absolviert haben, aber vor dem Hintergrund dieser Bevölkerungszahlen in Rom wird verständlich, warum es in der antiken Stadt Rom zahlreiche Heiligtümer gab, in denen Initiationsriten stattfanden.
Weitere "Belange" der Bürger der Stadt Rom, für die der Gott Iuppiter Optimus Maximus zuständig war:
Die Amtseinführung der obersten Magistrate212, der beiden Consuln213, fand gleichfalls auf dem Capitolium, und zwar jeweils am 1. Januar statt214. Die Consuln waren die eponymen (namengebenden) Beamten Roms, nach deren, ein Kalenderjahr andauernden Amtszeit, datiert wurde, diese Form der Datierung lautet in lateinischen Texten folgendermaßen: "in dem Jahr, als X und Y Consuln waren". Die Amtseinführung der Consuln vor dem Tempel des Iuppiter Optimus Maximus wurde mit großem Gepränge gefeiert. Diesem Staatsakt ging eine Prozession durch die ganze Stadt voraus, an der alle Senatoren, Ritter und das Volk teilnahmen. Vor dem Tempel angelangt, nahmen die Consuln auf den für sie vor dem Tempel bereit gestellten sellae curules (den Amtssitzen aller höheren Magistrate)215 Platz und empfingen die Huldigung des Volkes. Dann dankten die Consuln dem Iuppiter Optimus Maximus für den Schutz des Volkes im vergangenen Jahr, außerdem opferte jeder von ihnen einen weißen Stier. Damit erfüllten sie die entsprechenden Gelöbnisse ihrer Amtsvorgänger. Sie baten auch ihrerseits Iuppiter um Schutz für das römische Volk für die Dauer ihres eigenen Amtsjahres und gelobten ihm zum Dank dafür weiße Stiere zu opfern - wobei das Gelöbnis, diese Opfer darzubringen, dann wiederum von ihren Amtsnachfolgern erfüllt wurde.
Dieses Opfer galt nicht allein dem Iuppiter Optimus Maximus, sondern auch allen vom Senat anerkannten Staatsgöttern, weshalb von allen diesen Götter ebenfalls Kultbilder im heiligen Bezirk des Iuppiter Optimus Maximus aufgestellt waren. Dann leitete einer der beiden Consuln die erste Senatssitzung des Jahres, die immer im Tempel des Iuppiter Optimus Maximus stattfand und sakralen Belangen vorbehalten war. Schon allein auf Grund dieses Staatsaktes aus Anlass der Amtseinführung der beiden Consuln am 1. Tag eines jeden Jahres erweist sich der Tempel des Iuppiter Optimus Maximus als "Mittelpunkt der politischen Wirksamkeit des Staates"216.
Auch alle Senatssitzungen, in denen über einen Krieg beraten wurde, fanden im Tempel des Iuppiter Optimus Maximus statt, außerdem endeten die zahlreichen römischen Triumphzüge vor diesem Tempel.
All dies ist natürlich kein Zufall. Wie in der letzten Stunde gesagt, und von T. P. Wiseman in seinem Aufsatz von 1985 kommentiert, versuchten die Angehörigen der stadtrömischen Adelsfamilien, die sich um die römischen Magistraturen bewerben konnten, ja ständig primus, optimus und maximus zu sein, `der erste, beste und größte´ - bezogen auf alle Mitbewerber um diese Ämter, auf ihre eigenen Vorfahren, sowie die Vorfahren ihrer Mitbewerber. Das höchste dieser Staatsämter war das Konsulat, es war heiß begehrt, weil es den beiden Amtsträgern ermöglichte, Kriege zu führen, auf diese Weise große Beute zu machen, wenn sie Glück hatten, einen Triumph in Rom zu feiern, und als krönenden Abschluß dieses Triumphzuges in der Triumphalquadriga auf das Capitolium zu fahren und einen Teil ihrer Beute dem Iuppiter Optimus Maximus zu weihen. Da die Herrschaft der Römer 1000 Jahre andauerte und der Tempel des Iuppiter Optimus Maximus ebenso lange Bestand hatte, erklärt sich aus diesen Gepflogenheiten der Römer, warum der heilige Bezirk ihres obersten Gottes Iuppiter Optimus Maximus zum Bersten mit Weihgeschenken angefüllt war.
Dass auch diese Kriege unter dem Schutz des Iuppiter Optimus Maximus standen, sieht man daran, dass jeder Feldherr vor dem Antritt seiner Kampagne dem Iuppiter Optimus Maximus auf dem Capitolium opferte und dabei Gelübde aussprach217, außerdem war festgelegt, dass alles nach Recht und Ordnung vonstatten zu gehen hatte - wobei `Recht und Ordnung´ ja die Domänen des Iuppiter Optimus Maximus sind.
Der Feldherr musste nämlich offiziell autorisiert gewesen sein, den Krieg überhaupt führen zu dürfen218, es musste ein `gerechter´ Krieg gewesen sein, kriegerische Aktionen gegen Landsleute, wie in einem Bürgerkrieg, konnten (theoretisch) nicht mit einem Triumph belohnt werden219, und außerdem musste neben dem eigenen Sieg nachgewiesen werden, dass mindestens 5000 Feinde getötet worden waren220. Außerdem trug der Triumphator am Tage seines Triumphes die gleiche Kleidung wie das Kultbild des Iuppiter Optimus Maximus und färbte mit Mennige sein Gesicht rot - weil auch die archaische Kultstatue des Iuppiter Optimus Maximus, die ja eine farbig gefasste Terrakottaplastik war, ein rotes Gesicht hatte.
8. Dia
C. HÄUBER 2005, S. 29, Abb. 5 (verändert),
Karte des Kapitolshügels mit seiner Umgebung = Eigene Karte: Kapitol_06062010
Wie wir gesehen hatten, ist die archäologische Seite dieses ganzen Themenkomplexes so schwierig wie nirgendwo sonst in Rom. In der modernen Forschung wurde die Form und Beschaffenheit des natürlichen Landschaftsreliefs des Capitolium selbst, und die Lage und Größe der auf dem Capitolium befindlichen Area Capitolina extrem verschieden rekonstruiert. Wie wir in den vergangenen Vorlesungssitzungen gesehen haben, ist dies einerseits der kompletten nachantiken Überbauung des Kapitolshügels geschuldet, und andererseits der nahezu kompletten Zerstörung aller in antiken Schriftquellen und Schriftzeugnissen beschriebenen antiken Architekturen, Denkmäler und Statuen, die sich ursprünglich auf der Area Capitolina, dem heiligen Bezirk des Iuppiter Optimus Maximus, befunden haben. Um diesbezüglich Abhilfe zu schaffen, und um durch diese Maßnahme die antike Bedeutung des Capitolium besser nachvollziehbar zu machen, hatte Mussolini, wie erwähnt, befohlen, den Hügel `freilegen´ zu lassen. `Freilegen´ deshalb, weil er bis zu diesem Zeitpunkt auf allen Seiten von sehr dichter mittelalterlicher Bebauung umgeben war. Diese Aktion ging gründlich schief, weil nach der `Freilegung´ die Statik des Hügels selbst in Gefahr geriet, die ohnehin schon gefährdet war, weil sich in diesem Hügel unterirdische Steinbrüche befinden. Auch davon hatte ich Ihnen berichtet.
Ich hatte Ihnen auf meiner Karte den Umfang der von Mussolini befohlenen Zerstörung gezeigt, dieses hier sichtbare breite Band antiker Bebauung hatte die Statik des Kapitolshügels gesichert. Die Grundrisse dieser antiken Häuser waren zu Tage getreten, als Mussolini die unmittelbar auf diesen antiken Häusern stehende mittelalterliche Bebauung abreißen ließ. Da der Schaden bezüglich der gefährdeten Statik des Hügels sogleich nach diesen Zerstörungen offenbar wurde, entschloss man sich, diese `freigelegten´ Flächen mit einer meterdicken Erdschicht zuzuschütten, weshalb Sie sich heute diese antiken Häuser nicht mehr anschauen können - zum Glück wurden die Grundrisse dieser antiken Häuser jedoch zuvor noch dokumentiert, nach diesen Grundrissen habe ich sie auf meiner Karte gezeichnet.
In meine Karte sind überdies die neuen Erkenntnisse zum natürlichen Landschaftsrelief von Ammerman und Terrenato aus dem Jahre 1996 eingetragen, die ich Ihnen gleich noch einmal zeigen werde. Erkennbar ist dies an dem relativ kleinen Plateau des Capitolium, auf dem der Tempel des Iuppiter Optimus Maximus steht.
9. Dia - WIEDERHOLUNG
oben:
W. ALVAREZ et al. 1996, S. 753, Abb. 2,
Zeichnung: Schnitt durch den Kapitolshügel von SW nach NO, mit Eintrag von geologischen Tiefenbohrungen
rechts:
A. AMMERMAN, N. TERRENATO 1996, S. 41, Abb. 5,
Rekonstruktionszeichnung des natürlichen Landschaftsreliefs des Kapitolshügels von Ammerman und Terrenato
Als man vor einigen Jahren geologische Tiefenbohrungen unternahm, um die aktuelle Situation der Statik des Kapitolshügels zu prüfen, konnten Ammerman und Terrenato nun endlich das wirkliche natürliche Landschaftsrelief des Kapitolshügels ermitteln, das sie in ihrem Aufsatz aus dem Jahre 1996 publiziert haben - bitte beachten Sie vor allem das relativ kleine Plateau des Capitolium, wo sich der Tempel des Iuppiter Optimus befand mit dem zum Tempel gehörigen heiligen Bezirk, der Area Capitolina. Hierbei handelt es sich um wirklich bahnbrechende Erkenntnisse, die Sie sich merken sollten.
10. Dia - Wiederholung
C. REUSSER 1993, S. 199, Abb. 107,
C. Reusser: Rekonstruktionszeichnung, Capitolium mit Verteilung des Statuenschmucks
Hinzu kommt, dass fast alle Rekonstruktionsversuche der Area Capitolina, wie diese hier von Christoph Reusser aus dem Jahre 1993 - seine Area Capitolina ist die mit einer Mauer umgebene Fläche - entstanden sind, ehe die wahre Beschaffenheit des antiken Landschaftsrelief des Capitolium anhand der von Ammerman und Terrenato im Jahre 1996 zusammengefaßten Forschungen bekannt wurden. Merken Sie sich daher bitte, dass die hier angenommene enorme Größe des Plateaus des Capitolium, das in Reussers Rekonstruktion mit der Area Capitolina gleichgesetzt wird, also nicht den Tatsachen entspricht. Daher stimmen auch die kartographischen Angaben nicht, z. B. der von Reusser auf dieser Karte vorgeschlagene ursprüngliche Standort des Fidestempels, und damit zusammenhängend, der östlich von seinem Fidestempel mit der schwarzen Linie Nr. 4 gekennzeichnete Aufstellungsort der `mehrteiligen Statuenstiftung kleinasiatischer Städte und Fürsten´, die wir uns in der letzten Vorlesungssitzung angesehen haben. Ich zeige Ihnen das hier noch einmal, weil ich nach der letzten Vorlesungssitzung darauf angesprochen worden bin.
11. Dia
C. REUSSER 1993, S. 142, Abb. 66,
C. Reusser: Rekonstruktionszeichnung Stiftung kleinasiatischer Städte, 2.-1. Jh. v. Chr.
Ich hatte Ihnen ja berichtet, dass Antonio Maria Colini 3 fragmentierte Inschriften dieses Denkmals in seiner Ausgrabung bei der Kirche S. Omobono (1936-1938) gefunden hat. Für diesen Teil seiner Funde ist auf Grund der Schicht, in der sie entdeckt wurden, klar, dass sie bei einem Unwetter im 15. Jh. vom Kapitolshügel herabgerutscht sind. Dieser Fundlage bei S. Omobono ist selbstverständlich keineswegs ablesbar, wo genau auf dem Capitolium dieses archäologische Denkmal ursprünglich aufgestellt war - so wie Reusser dies tut (voriges Dia). Dies wäre nur möglich, wenn irgendwo auf dem Kapitolshügel selbst Reste des Denkmals in situ verblieben wären, die Bruch an Bruch, wie man das nennt, an die herabgerutschten Teile desselben Denkmals anpassen würden, oder die zumindest aus exakt demselben Steinmaterial gefertigt sind, oder die Teile einer Inschrift zeigen, die offenbar zu demselben Denkmal gehört haben - was jedoch nicht der Fall ist.
Für die anderen auf Reussers Karte verzeichneten Denkmäler gilt dies gleichermaßen. Die Überzeugungskraft der alten, sehr großflächigen Rekonstruktionen der Area Capitolina, die ich Ihnen gezeigt hatte, wie z. B. die von Christoph Reusser, bestand ja darin, dass die Fülle der für die Area Capitolina überlieferten Bauten, Denkmäler und Statuen ja irgendwie auf dem Plateau des Capitolium untergebracht werden müssen. Ich hatte, um Ihnen eine Vorstellung von dieser enormen Fülle zu vermitteln, den Text von Otto Richter (1901) vorgetragen, der diese Monumente anhand der antiken Schriftquellen und Schriftzeugnisse aufgelistet hat.
12. Dia WIEDERHOLUNG
M. Albertoni, I. DAMIANI 2008, S. 31, Abb. 29,
Jacques Carlu, Plan des Capitolium mit IOM-Tempel (1924) - Grundriss
Ich hatte Ihnen deshalb außerdem die Rekonstruktion des Grundrisses des Tempels für Iuppiter Optimus Maximus von Jacques Carlu aus dem Jahre 1924 gezeigt, auf der auch die unmittelbare Umgebung des Tempels wiedergegeben ist. Obwohl man die vielen kleinen Heiligtümer, Denkmäler und Statuen auf dem Capitolium - welche wir aus antiken Schriftquellen kennen, oder von deren Existenz wir erfahren, weil Militärdiplome an ihnen befestigt waren - eigentlich nicht genau lokalisieren kann, gewinnt man immerhin anhand dieser Rekonstruktion in zutreffender Weise einen Eindruck von der großen Fülle dieser Denkmäler, die es hier ja nachweislich gegeben hat. Wobei die Betonung auf "nachweislich" liegt.
Das ist allerdings etwas, was Sie sich unbedingt merken sollten: die neuere Forschung zeigt immer deutlicher, dass die antiken Berichte bezüglich von Gebäuden, Denkmälern und Statuen, die sich innerhalb der Area Capitolina auf dem Capitolium befunden hätten, den Tatsachen entsprechen. Dies zeigen nicht nur die entsprechenden Angaben auf den Militärdiplomen, von denen immer mehr bekannt werden, sondern auch Fragmente von archaischer Bauplastik aus farbig gefasster Terrakotta, die im Zuge der neuen Ausgrabung des Tempels für Iuppiter Optimus Maximus entdeckt worden sind. Diese hatte ich Ihnen bereits gezeigt, es handelt sich um Funde, die aus dem sog. Giardino Romano stammen, jener als Garten genutzten Freifläche zwischen dem Konservatorenpalast und dem Palazzo Caffarelli, welcher nach dieser Ausgrabung den Glasbau für die originale Reiterstatue des Marc Aurel aufgenommen hat.
13. Dia - WIEDERHOLUNG
links:
M. Albertoni, I. DAMIANI 2008, S. 60, Abb. 68,
Photo: Giardino Romano (IOM-Tempel), archaischer Brunnen
rechts:
M. Albertoni, I. DAMIANI 2008, S. 61, Abb. 69,
Photo: Terrakottaverkleidung aus dem Giardino Romano (IOM-Tempel), 540-520 v. Chr.
Die beiden Bilder dieses Dias stammen aus dem Buch von Albertoni und Damiani 2008. Sie sehen rechts noch einmal das Fragment einer farbig gefassten Terrakottaverkleidung, die im Giardino Romano gefunden wurde: sie gehörte zu einem kleinen Sakralbau, der 540-520 v. Chr. datierbar ist, dargestellt ist ein Umzug mit Menschen und Pferdegespannen (erkennbar ist ein Mann mit archaischer Frisur, der eine Lanze oder einen Stab in der rechten Hand hält).
14. Dia - WIEDERHOLUNG
M. Albertoni, I. DAMIANI 2008, S. 28, Abb. 25,
Photo: Antefix, Terrakotta, farbig gefasst, Giardino Romano (IOM-Tempel), 2. H. 6. Jh. v. Chr.
Gleichfalls aus dem Giardino Romano stammt diese farbig gefasste Terrakotta. Es handelt sich um ein Antefix, das in Form eines Mädchenkopfes gebildet ist. Diese Terrakotte gehörte ursprünglich ebenfalls zu einem kleinen Sakralbau und wird in die 2. Hälfte des 6. Jhs v. Chr. datiert. Mit der hier noch einmal gezeigten Bauplastik aus Terrakotta des 6. Jhs. v. Chr. lässt sich also beweisen, dass, wie die antiken Schriftquellen behaupten, bereits eine ganze Reihe von kleinen Heiligtümern auf dem Capitolium gestanden hatten, als hier der Tempel für Iuppiter Optimus Maximus im Bau war.
15. Dia - WIEDERHOLUNG
M. Albertoni, I. DAMIANI 2008, Titelbild, S. 16, Abb. 5,
Rekonstruktionszeichnung: der IOM-Tempel in archaischer Zeit (Grafica Inklink, Firenze)
Kommen wir auf Ihre Prüfung zurück: Wenn Sie mit Ihren eigenen Worten beschreiben können, dass es innerhalb des heiligen Bezirks des Iuppiter Optimus Maximus, der Area Capitolina auf dem Capitolium, eine große Fülle von Bauten, Denkmälern und Statuen gab, dann reicht das völlig aus, die unendlich lange Liste dieser Monumente bei Otto Richter, die ich Ihnen vortrug, brauchen Sie sich im Einzelnen nicht zu merken. Was nicht heißt, dass diese Liste unwichtig ist, sondern nur, dass ich von Ihnen nicht erwarte, ihren Inhalt in der Prüfung wiedergeben zu können.
Ich möchte auch noch einmal auf die vielen, an allen möglichen freien Stellen innerhalb der Area Capitolina angenagelten Militärdiplome zurückkommen: diese geben nicht nur weiteren Aufschluss über den Charakter des Gottes Iuppiter Optimus Maximus, sondern beleuchten schlaglichtartig die Lebensbedingung einer bestimmten Bevölkerungsgruppe innerhalb des römischen Reiches, nämlich die jener Männer, welche diese Militärdiplome im heiligen Bezirk des Iuppiter Optimus Maximus aufgehängt haben.
Diesen Iuppiter lernten nämlich nicht nur alle in Rom frei geborenen jungen Männer kennen, weil sie seinen Tempel im Zusammenhang ihrer Initiation aufsuchten, sondern er war auch zuständig für jene Auxiliarsoldaten221, Provinziale (Personen, die in den römischen Provinzen als Einheimische lebten), die das römische Bürgerrecht noch nicht besaßen, und die es auf sich nahmen, 25 Jahre lang in römischen Legionen Militärdienst zu leisten, damit es ihre Söhne auch einmal so schön haben sollten wie jene eben genannten, in Rom aufgewachsenen jungen Leute, die ohnehin schon Söhne römischer Bürger waren. Dies fand zwar erst in der Kaiserzeit ab Kaiser Claudius222 statt, doch da man den von diesen Soldaten finanzierten Militärdiplomen so wichtige Informationen über die Gebäude entnehmen kann, die sich innerhalb der Area Capitolina befunden haben, erwähne ich es hier.
Darf ich Sie 'mal fragen, wer von Ihnen bereits 25 Jahre alt ist oder älter ? [sehr wenige] Dann haben Sie ja bereits eine eigene Vorstellung, wie lang Ihnen persönlich der Zeitraum von 25 Jahren vorkommt, die jüngeren vielleicht sogar noch eindringlicher, da Sie ja selbst noch nicht einmal 25 Jahre auf dieser Welt sind. Und nun frage ich Sie: für welches Ziel wären Sie selbst bereit, 25 Jahre lang Schwerstarbeit zu leisten unter nahezu ständiger Lebensgefahr ?
Auch hier benötigen Sie wieder eine Menge Hintergrundwissen, um das Ganze verstehen zu können: im Stadtstaat Rom und im gesamten späteren römischen Weltreich gibt es Personen mit unterschiedlichem zivilrechtlichen Status: Freie und Sklaven, Personen mit römischem Bürgerrecht, und solche, die dieses nicht besitzen. Innerhalb der letzteren Gruppe gibt es natürlich Personen, welche das Bürgerrecht anderer Städte haben, doch im Laufe des Bestehens des römischen Weltreiches wird das römische Bürgerrecht wesentlich attraktiver als alle übrigen Bürgerrechte innerhalb dieses geographischen Raumes.
Viele Sklaven versuchen mit allen Mitteln, frei zu werden - z. B. sich frei zu kaufen - und viele Provinziale, die nicht das römische Bürgerrecht besitzen, versuchen dieses zu erwerben.
Warum ? Wer Provinziale war und das römische Bürgerrecht nicht besaß hatte innerhalb des römischen Weltreiches weniger Rechte als ein römischer Bürger. Wenn ihn das störte, hatte er (theoretisch) zwei Alternativen, 1. konnte er seine Heimat verlassen und gleichzeitig auch das Areal, das zum römischen Weltreich gehörte, 2. konnte er sich bemühen, das römische Bürgerrecht zu erwerben, was den Vorteil hatte - im Fall dieser Mann überlebte 25 Dienstjahre in einer römischen Legion - dass er nach seinem ehrenvollen Abschied und einer finanziellen Abfindung nun als römischer Bürger in seine Heimat zurückkehren konnte - die verabschiedeten Soldaten konnten sich nämlich niederlassen, wo sie wollten. Die Folgen der 1. Alternative waren überhaupt nicht kalkulierbar, die 2. Alternative bot bei Überleben einen genau kalkulierbaren sozialen Aufstieg sowohl für den Mann selbst als auch für seine Familie.
Bei diesem Prozeß spricht man von Romanisierung der römischen Provinzen, damit ist ein Vorgang der Akkulturation gemeint, der aus diesem heterogenen Ganzen einen - nach politischen, rechtlichen und sozialen Kriterien - einigermaßen einheitlich definierten Raum gemacht hat, innerhalb dessen sich die Bewohner als Römer fühlen konnten, obwohl man unter `Römern´ ursprünglich eigentlich ausschließlich die Bewohner des relativ kleinen Stadtstaates Rom verstanden hatte. Diese `Romanisierung´ hat, weil sie für die lokalen Eliten in den von den Römern eroberten Gebieten und ebenso für `einfache´ Männer, wie dem Auxiliarsoldaten unseres Beispiels, große Vorteile brachten, wunderbar funktioniert. Und Iuppiter Optimus Maximus spielte darin eine bedeutungsvolle Rolle. Wie Sie bereits gehört haben, wurde das Capitolium in Rom mit seinem Tempel für die kapitolinische Trias: Iuppiter, Juno und Minerva, überall im römischen Weltreich kopiert. Die Römer gründeten ja in den von ihnen eroberten Gebieten neue Siedlungen mit der Bezeichnung Colonia (`Kolonie´)223, die alle ebenfalls ein Kapitol erhielten. Diese Coloniae wurden anfangs mit Römern oder Italikern (Bewohnern der italischen Halbinsel = Italien) besiedelt, später auch mit Veteranen (aus den römischen Legionen ehrenvoll verabschiedeten Soldaten) und haben ganz erheblichen Anteil am Prozeß der Romanisierung gehabt.
Somit erlebte der Gott Iuppiter Optimus Maximus eine enorme Entwicklung. Die beiden Tarquinier, die ihm auf dem Capitolium in Rom einen Tempel errichteten, hatten ja lediglich das Ziel für sich formuliert, dass sein Kult bedeutender werden sollte als jener des Iuppiter Latiaris, des Schutzgottes des Latinischen Städtebundes auf dem Mons Albanus in Latium224. Bei der Gründung seines Kultes am Ende des 6. Jhs. v. Chr. war selbstverständlich nicht absehbar, dass der Gott Iuppiter Optimus Maximus des Stadtstaates Rom zum obersten Staatsgott des gesamten Römischen Weltreichs aufsteigen würde.
Eine weitere Frage nach der letzten Vorlesungssitzung hat mir gezeigt, dass nicht allgemein verstanden worden war, warum ich Ihnen etwas von Initiationsriten von jungen Männern und jungen Frauen in Rom erzähle, Ihnen aber ausgerechnet Tonstatuen von jungen Leuten aus dem kleinen Ort Lavinium in Latium zeige, welche diese Personen bei ihrer Initiation präsentieren. Außerdem schien mir bei der Art, wie die Frage gestellt wurde, deutlich zu werden, dass ich versäumt hatte darauf hinzuweisen, dass die Initiation für alle Jungen und Mädchen, welche die Pubertät erreicht hatten, obligatorisch war.
Dass Initiationsriten für alle jungen Leute, nicht nur in Rom und Latium, in der Antike selbstverständlich waren, hoffe ich Ihnen heute klar gemacht zu haben. Auch dass ich Ihnen diese Tonplastiken aus Lavinium zeige, hat einen Grund, den ich bereits früher schon einmal erwähnt habe. Leider sind die entsprechenden Statuen, die es in Rom mit Sicherheit ebenfalls gegeben hat, nicht erhalten, und das liegt wiederum daran, dass die Stadt Rom auch nach der Antike am selben Ort weiter bestanden hat und noch weiterhin besteht. Wie ganz zu Anfang meiner Vorlesung gesagt, hat diese Besonderheit der Stadt Rom Vorteile und Nachteile. Ein Nachteil besteht darin, dass die Architekturen der römischen Republik samt ihren Ausstattungen fast komplett zerstört sind, und somit auch die vielen verschiedenen Heiligtümer in Rom mit ihrer Votivstatuen, von denen wir aus antiken Schriftquellen wissen, dass hier Initiationsriten stattgefunden haben. Der Tempel des Iuppiter Optimus Maximus, wo die jungen Männer aus Anlass der Tatsache, dass sie nun die Männertoga trugen, opferten und einen Geldbetrag in die Tempelkasse einzahlten, war dagegen in seiner Bedeutung und in dieser eben genannten Funktion einmalig.
In Lavinium liegen die Verhältnisse ganz anders. Das Heiligtum der Athena Ilias/ Troiana, aus dem die ca. 100 lebensgroßen Tonstatuen der genannten jungen Leute stammen, lag in der Antike und liegt auch heute außerhalb der Stadt und wurde deshalb in viel geringerem Umfang zerstört als alles Vergleichbare in der Stadt Rom. Ich hatte Ihnen während der Vorlesung bereits Funde aus dem Heiligtum der Athena Ilias/ Troiana gezeigt, zum einen die 2 m hohe Tonstatue der Minerva selbst, dann einige Tonstatuen von jungen Mädchen mit zum Teil sehr reichem Goldschmuck. Diese jungen Frauen sind während ihrer Initiationsriten gezeigt, sie sind nämlich als Bräute geschmückt - wir wissen ja, dass die jungen Frauen im Zusammenhang ihrer Initiation verheiratet wurden.
16. Dia - Wiederholung
Karte: DNP 6 (Stuttgart 1999) 1167-1168, Latinische Städtebünde (bis zum 4. Jh. v. Chr.)
Sie sehen hier noch einmal die Karte in Der Neue Pauly zum Thema `Latinische Städtebünde´. Wir erkennen den Tiber, die Stadt Rom und das latinische Städtchen Lavinium. Beachten Sie bitte auch die Lage des Mons Albanus (Monte Cavo), wo der Schutzgott des Latinischen Bundes, Iuppiter Latiaris in einem bedeutenden Heiligtum verehrt wurde. Es handelt sich um einen sehr eindrucksvollen Berg, den man manchmal rechter Hand sehen kann, wenn man vom Flughafen Fiumicino nach Rom fährt - hier also stand der Tempel, den die Tarquinier mit ihrem Tempel des Iuppiter Optimus Maximus in Rom in den Schatten stellen wollten.
17. Dia - WIEDERHOLUNG
Lavinium
Enea nel Lazio 1981
Farbig gefasste Terrakottastatuen junger Männer aus dem Heiligtum der `Athena Troiana/ Athena Ilias´ in Lavinium / Lavinio (Pratica di Mare), Pratica di Mare, Museo Archeologico Lavinium
- S. 228-229, Kat. Nr. D 206, junger Mann mit Tunica, Mantel und doppelter Bulla, 3. Viertel 5. Jh. v. Chr.
Ich zeige Ihnen heute die in der letzten Stunde vorgestellten Tonstatuen von jungen Männern aus dem Heiligtum der Minerva Troiana/ Ilias noch einmal. Es handelt sich mit Sicherheit um Bewohner der Stadt Lavinium, zu der dieses Heiligtum gehört. Und zwar tue ich dies deshalb, damit Sie sich ungefähr vorstellen können, was in derselben Zeit in der Stadt Rom üblich war. Alle Dias wurden nach dem Katalog Enea nel Lazio 1981 (`Aeneas in Latium´) gemacht. Die hier sichtbare Plastik wird ins 5. Jh. v. Chr. datiert. Wir sehen einen jungen Mann, der mit einer Tunica und einem Mantel bekleidet ist. Sein kurz geschnittenes Haar, seine Bulla und das in der linken Hand gehaltene Weihgeschenk (ein Alabastron) zeigen an, warum die Statue der in diesem Heiligtum verehrten Minerva geweiht worden ist. Leider fehlt die möglicherweise ursprünglich zugehörige Inschrift, aus der wir gegebenenfalls den Namen des Weihenden und den genauen Anlass der Weihung hätten erfahren können.
Merken Sie sich bitte, dass es sich bei dieser und den folgenden Tonstatuen nicht um ikonographische Portraits handelt, dennoch meinen sich die Weihenden selbst mit diesen Bildern. Im Unterschied zur Darstellung des jungen Mannes selbst ist sein Schmuck wieder - analog zu den Tonstatuen der jungen Mädchen aus demselben Heiligtum - ein Abguss tatsächlich vorhandenen Metallschmucks. Das kurz geschnittene Haar und die Bulla zeigen an, dass der vor uns stehende junge Mann im Augenblick seiner Initiationsriten wiedergegeben ist. Das Alabastron, das wir uns mit wertvollem Parfümöl gefüllt vorstellen müssen, kann möglicherweise als ein Hinweis auf Hochzeitsrituale gedeutet werden225 - weshalb dieses Weihgeschenk an die Göttin in der hier wiedergegebenen Situation natürlich Sinn macht, da zu dem nun für den jungen Mann begonnenen Erwachsenenleben auch die Ehe gehört.
18. Dia - WIEDERHOLUNG
Enea nel Lazio 1981, 242, Kat. Nr. D 225,
- kopflose Statue eines jungen Mannes mit Tunica und Bulla, Mitte 4. Jh. v. Chr.
Diese kopflose Tonstatue eines jungen Mannes aus demselben Heiligtum in Lavinium ist nur mit der Tunica bekleidet und trägt eine sehr große Bulla um den Hals. Das in der linken Hand gehaltene Weihgeschenk, eine Kugel, kommt bei den Tonstatuen dieses Heiligtums am häufigsten vor, und zwar sowohl bei den Statuen von Jungen, als auch bei den Statuen von Mädchen. Im Katalog `Aeneas in Latium´, aus dem diese Abbildung stammt, wird dieses Attribut als typisches `vorhochzeitliches´ Weihgeschenk an die Göttin angesehen.
19. Dia
Enea nel Lazio 1981,
links:
- S. 230-231, Kat. Nr. D 209, junger Mann mit Mantel und Kreisel, letzte Jahrzehnte 5. Jh. v. Chr.
rechts - WIEDERHOLUNG:
- S. 236-237, Kat. Nr. 218, Oberkörperfragment eines betenden jungen Mannes mit Mantel; vgl. S. 237-238, Kat. Nr. 219, 220, 1. Hälfte 4. Jh. v. Chr.
Auf diesem Dia sehen Sie zwei Tonstatuen von jungen Männern, die nur mit einem Mantel bekleidet sind. Von der Figur auf der rechten Seite des Dias ist nur ein Oberkörperfragment erhalten geblieben. Bei dieser Figur handelt es sich innerhalb dieser ca. 100 lebensgroßen Tonplastiken des Minervaheiligtums in Lavinium um einen `Verkaufsschlager´, da aus denselben Modeln 9 dieser Statuen angefertigt worden waren. Diese Statue hatte ich Ihnen bereits in der letzten Stunde gezeigt, die Frisur dieses Jungen orientiert sich an griechischen Statuen des 5. Jhs. v. Chr. Die vor uns stehende, fragmentarische Tonstatue aus Lavinium wird in die 1. Hälfte des 4. Jhs. datiert. Der junge Mann hat seine rechte Hand betend erhoben, die linke Hand mit dem Weihgeschenk für die Göttin ist leider verloren.
Links sehen Sie die Tonstatue eines jungen Mannes, den ich Ihnen noch nicht gezeigt hatte. Sie stammt aus demselben Heiligtum und wird in die letzten Jahrzehnte des 5. Jhs. datiert. Die kurz geschnittenen Haare und das jugendliche Alter lässt wie bei allen übrigen hier gezeigten Tonstatuen erkennen, dass es sich um einen Jungen in der Pubertät handelt, der im Augenblick seiner Initiationsriten - hier erkennbar am Haarschnitt - wiedergegeben ist. Zum Glück ist das Weihgeschenk in seiner linken Hand erhalten. Es handelt sich um einen Kreisel, das heißt, um ein Kinderspielzeug. An diesem Weihgeschenk ist eindeutig erkennbar, dass der junge Mann unmittelbar vor seiner Verheiratung steht, denn Kinderspielzeug, besonders aber Kreisel, wurden von jungen Männern und Frauen dann in ein Heiligtum geweiht, wenn sie Abschied von ihrer Kindheit nahmen, weil sie heiraten wollten226 - dies gilt auch für Griechenland227. Künstlerisch lässt diese Statue zwar sehr zu wünschen übrig, da sie unter zu Hilfenahme von Modeln geformt wurde, die in ihren Größenmassstäben nicht zusammen passen (sehr große Füße, sehr kleiner Kopf), doch was ihre Ikonographie betrifft, ist bei ihr die Aussage wesentlich deutlicher als bei den anderen Statuen der jungen Männer, welche in diesem Minervaheiligtum entdeckt worden sind.
Dies bestätigt, dass, wie Mario Torelli 1990 festgestellt hat, junge Männer in Rom sehr bald nach Anlegen der Toga virilis geheiratet haben228. Wie er229 anhand einer Analyse des römischen Kalenders mit seinen zahlreichen Götterfesten feststellen kann, zeugten diese sehr jungen römischen Eheleute auch sogleich Kinder230 und unmittelbar danach zog der junge Ehemann in den Krieg. Wie bereits gesagt, führten die Römer während der römischen Republik nahezu pausenlos Krieg, weshalb der Stadtstaat Rom selbstverständlich auf diese jungen Soldaten angewiesen war, doch da sie so früh heirateten, garantierten sie gleichzeitig das Überleben ihres Staates.
Wie bereits im Zusammenhang der Tonstatuen von jungen Bräuten aus demselben Minervaheiligtum in Lavinium gesagt, meinten die Frauen, welche diese Weihegaben der Minerva gestiftet hatten, mit diesen Votivstatuen sich selbst. Dies gilt analog auch für die eben betrachteten Tonstatuen, die junge Männer darstellen, auch diese wurden von jungen Männern geweiht, die mit diesen Statuen sich selbst meinten. Das Besondere an allen diesen Tonstatuen aus Lavinium besteht nun darin, dass sie zeitnah zu den Initiationsriten dieser jungen Frauen und Männer im Heiligtum der Minerva geweiht und aufgestellt worden sind. Wie wir im Folgenden sehen werden, handelt es sich bei diesen Plastiken gleichsam um den ganz privaten Teil dieses folgenschweren Vorgangs der Initiation.
Wenn ich vorhin gesagt habe, dass es entsprechende republikanische Statuen von jungen Männern in der Stadt Rom nicht gibt, dann ist das zwar richtig, wir können aber dennoch eine gewisse Vorstellung von dem gleichzeitigen diesbezüglichen Geschehen in Rom gewinnen, wenn auch nur über einen Umweg. Es gibt nämlich ein Relief231, das einen jungen Mann mit den Insignien seines Priesteramtes zeigt, das ihm unmittelbar nach seiner Initiation verliehen worden sein kann. Weshalb wir uns dieses Relief zur Illustration der Initiation junger Römer anschauen werden - dieses Beispiel lässt sich aber nur auf jene jungen Männer beziehen, die der Spitze der Gesellschaft, dem patrizischen Adel, angehört haben.
20. Dia - WIEDERHOLUNG
T. SCHÄFER 1980, S. 343, Abb. 1 und passim,
Reiterrelief Ludovisi: Grabrelief eines Saliers, Marmor, severisch
Es handelt sich um das sog. Reiterrelief Ludovisi im Thermenmuseum, das ich Ihnen hier noch einmal zeige. Es ist aus Marmor skulptiert, wobei schon allein das Material Marmor verrät, dass das Relief in der Kaiserzeit entstanden ist. Stilistisch kann man das Werk in die letzten Jahrzehnte des 2. Jhs. n. Chr. datieren, dennoch ist es in unserem Zusammenhang interessant, da es Verhältnisse wiedergibt, die nicht etwa typisch für die römische Republik waren, sondern welche sogar in die römische Königszeit, genauer gesagt, ins 8. Jh. v. Chr.232, zurückreichen. Dass diese Verhältnisse durchgehend vom 8. Jh. v. Chr. bis (mindestens) in das Ende des 2. Jhs. n. Chr., also mindestens 1000 Jahre lang andauerten, zeigt den für die Römer typisch extremen Konservatismus in allen Dingen, welche ihre Religion betrafen.
Dargestellt ist ein bartloser, berittener junger Mann, der seine rechte Hand zu seinem bekränzten Kopf führt, damit wird von dem ausführenden Künstler deutlich gemacht, dass sein Kranz (corona) von Bedeutung ist. Es handelt sich um einen Jungen aus dem Patriziat, der es geschafft hat, in eines der beiden Salierkollegien233 aufgenommen zu werden, auf die ich nachher noch eingehen werde. Ob dies in diesem Fall bereits bei Erreichen der Pubertät, das heißt, nach den Initiationsriten, geschehen war, wenn andere frei geborene Jungen lediglich die Toga virilis anlegten, können wir nicht wissen, weil keine Inschrift auf dem Relief angebracht ist, doch theoretisch wäre dies möglich gewesen, weshalb wir uns in diesem Zusammenhang mit diesem Relief beschäftigen sollten.
Dass dieser junge Mann ein Salier - also ein Priester des Gottes Mars ist - zeigen verschiedene Einzelheiten der Ikonographie des Reliefs, deren korrekte Deutung unserem Institutsdirektor, Prof. Thomas Schäfer, zu verdanken ist. Aus seinem Aufsatz aus dem Jahre 1980, den Sie in der Literaturliste zur Vorlesung finden, stammen auch die hier gezeigten Dias: Erkennbar ist diese Tatsache an der Bekleidung des jungen Mannes, seinen Kopfbedeckungen, der Tatsache, dass er ein Pferd reitet, sowie, wie dieses ausgestattet ist, ferner hat der Junge eine Dienerschaft, die ihn begleitet. Typisch ist obendrein, dass dies überhaupt dargestellt worden ist.
Denn der Junge hat dieses Relief nicht etwa selbst aus Anlass seiner Initiation (oder später) in ein Heiligtum geweiht, um einer Gottheit zu danken (z. B. dafür, dass er Salier werden durfte). Wie wir gesehen hatten, war dies der Fall bei den zuvor betrachteten Tonstatuen der jungen Männer aus dem Minervaheiligtum in Lavinium, die Weihgeschenke in ihren linken Händen tragen, die sie der Göttin Minerva weihen wollen. Dies zeigt einerseits ihre persönliche pietas (Frömmigkeit), gleichzeitig bringen sie mit der Wahl ihrer Weihgeschenke unmißverständlich zum Ausdruck, wie sie sich ihre Zukunft als erwachsene Männer vorstellen.
Das hier betrachtete Marmorrelief offeriert dagegen keinerlei Perspektiven auf eine glückliche Zukunft des Jungen, sondern zeigt vielmehr eine Szene, die bereits der Vergangenheit angehört: Es handelt sich nämlich um sein Grabrelief. Da Salier zu sein die größte Ehre gewesen war, die dieser Sprößling einer patrizischen Adelsfamilie während seines kurzes Lebens erreicht hatte, wurde genau das an seinem Grabmonument thematisiert. Was macht diesen Jungen zum Patrizier und zum Salier ? Das Pferd, der equus publicus, die purpurgesäumte Trabea234 mit dem charakteristischen runden Saum, und der Kranz gehören auch zu den Kennzeichen des Ritterstandes235, doch seine Kopfbedeckung, eine Apex genannte Kappe aus weichem Material (Fell oder Leder), die mit einem dornartigen Aufsatz versehen ist, zeigt, dass es sich um einen Salier handelt.
Der bärtige Mann hinter dem berittenen Jungen, ein pedisequus (Diener), hält den Apex so hoch, dass er hinter seinem Kopf erscheint. Außerdem ist das Pferd mit einer Raubtierschabracke ausgestattet. Vor dem berittenen Jungen schreitet ein mit einer knielangen, gegürteten Tunica bekleideter viator (Amtsdiener), der das Pferd am Zügel führt - die beiden Begleiter gehören zur Entourage des Jungen und signalisieren seinen hohen Rang. Dabei hat das Ganze einen eindeutig triumphalen Charakter. Trabea und Apex kennzeichnen den Jungen als Salier, wobei wir wissen, dass auch der Kranz von den Saliern getragen wurde. Um beides, Kranz und Apex, auf dem Relief zeigen zu können, ist der Junge bekränzt und der Apex wird hinter seinen Kopf gehalten, um anzuzeigen, dass er berechtigt ist (oder war), ihn zu tragen. Er wird hier als Salier dargestellt, um seine pietas zu verdeutlichen (er gehörte ja einen Priesterkollegium an), außerdem können wir der Tatsache, dass er Salier war, entnehmen, dass seine Familie zum Patriziat gehörte - auch das Reiten auf dem Pferd und seine Begleitung (die Dienerschaft) kennzeichnen seinen hohen sozialen Rang.
Thomas Schäfer schreibt: "Sehr oft "bekleideten ... junge Männer das Saliat, schieden aber mit Beginn einer Ämterlaufbahn meist aus dem Kollegium aus, da sich die gleichzeitige Bekleidung eines anderen Amtes wenn nicht ausschloß, so doch oftmals schlecht vertrug"236.
21. Dia
oben:
T. SCHÄFER 1980, S. 350, Abb. 5 und 6,
Reiterrelief Ludovisi
unten:
T. SCHÄFER 1980, S. 354, 355, Abb. 8,
Girlandenrelief mit apex im Pantheon, Marmor
Dieses Dia zeigt Ihnen oben zwei Details aus dem eben gezeigten sog. Reiterrelief Ludovisi. Wir sehen links den Apex in Vergrößerung und rechts von unten, erkennbar ist zum einen die Tatsache, dass diese Kappe aus einem Material mit weicher Oberfläche (Fell ?) gearbeitet ist, außerdem sehen wir eine der beiden charakteristischen Einbuchtungen für die Ohren des Trägers. Unten ist ein Marmorrelief wiedergegeben, das in der Vorhalle des Pantheons in die rückwärtige Mauer des Pronaos eingelassen ist: In der Mitte erscheint ein Apex, der glücklicherweise sehr viel besser erhalten ist als der des Reiterreliefs Ludovisi. Er ist von vorn gezeigt, Sie sehen, dass er einen dornartigen Aufsatz besitzt, deutlich erkennbar sind auch die Einbuchtungen für die beiden Ohren des Trägers.
22. Dia - WIEDERHOLUNG
T. SCHÄFER 1980,
S. 364, 368, Abb. 21 - Umzeichnung: Gemme (Karneol) mit Salierumzug, verschollen
Dieses Dia zeigt Ihnen die Umzeichnung einer Gemme aus Karneol, die heute verschollen ist. Dargestellt sind zwei Männer in kurzer, bestickter Tunica237, die 5 an einer Stange hängende langovale, in der Mitte eingezogene Schilde tragen. Es sind Salier und dargestellt ist einer ihrer Umzüge, von denen wir noch hören werden, und bei denen sie ihre heiligen Schilde (ancilia), in Wirklichkeit 12, in einer Prozession durch Rom trugen; bei ihren Umzügen wurden die Salier von der gesamten Staatspriesterschaft begleitet238.
Die ancilia, die Schilde der Salier, galten als "Unterpfänder der römischen Herrschaft"239.
ZURÜCK zum 20. Dia
T. SCHÄFER 1980, S. 343, Abb. 1 und passim,
Reiterrelief Ludovisi: Grabrelief eines Saliers, Marmor, severisch
Das hier noch einmal gezeigte Reiterrelief Ludovisi, das Grabrelief eines sehr jung verstorbenen Saliers, ist für uns deshalb so wichtig, weil wir uns nun besser vorstellen können, welchen Stellenwert die bereits erwähnten, geschlechtsspezifischen Proben der jungen Männer im Zusammenhang ihrer Initiation ausgesehen haben mögen. Mario Torelli 1990, der sich mit dieser Fragestellung beschäftigt hat, schreibt hierzu: "... der [männliche] römische Bürger hat in archaischer Zeit eine soziale Hauptaufgabe, und zwar diejenige, Krieg [zu führen], die Initiationsriten für die jungen Männer betonen daher eine Erziehung zum Krieg, die ihren Höhepunkt in der Salier-Religion erfährt"240.
Nota bene, Torelli 1990 spricht im Zusammenhang der Initiation der jungen Römer ausdrücklich von der "Erziehung zum Krieg" und von der "Salier-Religion" (!). Torelli stellt ferner fest, dass die Bewaffnung und Tracht der Salier und die Form ihrer Schilde im 8. Jh. v. Chr. die aktuelle Bewaffnung der Zeit dargestellt hätten, auch ihr Apex entspreche dem Helm der Villanovazeit241. Diese Tracht der Salier entspricht nach Torelli im Übrigen sowohl der Tracht der römischen Könige, als auch der Tracht der römischen Triumphatoren der Frühzeit, sogar der Weg, den die Salier-Prozession durch die Stadt Rom nahm, entsprach dem Prozessionsweg der Triumphzüge242. Demnach haben die jungen Salier, wie jener unseres hier betrachteten Grabreliefs, bereits sehr früh, das heißt, theoretisch von ihrer Initiation an, anlässlich der mehrfach im Jahr stattfindenden Salierprozessionen buchstäblich jenen Weg beschritten, der ihnen als das non plus ultra der in ihrem Leben erreichbaren Ehren hingestellt wurde: einmal (in einigen Fällen sogar mehrfach) als siegreicher Feldherr einen Triumphzug in Rom zu erleben. Und interessanterweise trugen sie selbst bei diesen Prozessionen bereits die Tracht der Triumphatoren (!). Bei ihren Umzügen führten die Salier überdies einen für sie charakteristischen Tanz auf - nach Torelli war das als Umsetzung von Kampfhandlungen in einem Krieg zu verstehen.
23. Dia
Dia - Wiederholung
F. SCAGNETTI und G. GRANDE 1979: Romkarte
- Kartenausschnitt: "VRBS ANTIQVISSIMA", mit der Servianischen Stadtmauer
Diese Aussage Torellis, dass die jungen Römer im Zusammenhang ihrer Initiation systematisch `zum Krieg erzogen´ wurden, und dass es sich beim Marskult der Priesterschaft der Salier buchstäblich um eine `Religion´ gehandelt habe, möchte ich im Folgenden noch etwas vertiefen, indem wir uns an Hand von Karten der Stadt Rom vergegenwärtigen, warum es gleich zwei dieser Priesterschaften gab, und wo sich der Prozessionsweg ihrer Umzüge befunden hat.
Auf diese Weise wird meines Erachtens erkennbar, dass diese `Erziehung zum Krieg´ der jungen Römer nicht etwa im stillen Kämmerlein stattfand, sondern ganz im Gegenteil zu ganz bestimmten Festtagen im Jahr durch die öffentlichen Umzüge der Salier nicht nur allen Römern, sondern natürlich auch allen in Rom weilenden Besuchern öffentlich präsentiert worden ist. Offenbar dienten demnach diese öffentlichen Manifestationen dazu, die gesamte Gesellschaft `zum Krieg zu erziehen´.
Wie bereits erwähnt, führt uns die Priesterschaft der Salier in die Frühzeit Roms, die eigentlich nicht das Thema unserer Vorlesung ist, doch die Römer selbst begegneten ihrer Frühzeit noch bis zum Ende der Antike auf Schritt und Tritt in ihrer Stadt, weshalb auch wir uns damit beschäftigen sollten. Nebenbei werden wir uns bei diesen Überlegungen obendrein noch mit zwei berühmten Geschichten der Frühzeit Roms beschäftigen, der Geschichte vom Raub der Sabinerinnen, und der Geschichte der Tarpeia.
Die Salii243 waren Tanzpriester im Dienst einer Kriegsgottheit in Latium und besonders in Rom. Die römischen Salii gliederten sich in die beiden aus je 12 Mitgliedern bestehenden Sodalitäten der Salii Palatini (im Dienst des Mars) und der Salii Collini (Agonenses, Agonale im Dienst des Quirinus). Quirinus war der kriegerische Stammesgott der Besiedler des Quirinalshügels, die nach alter, doch von der modernen Forschung angefochtener Überlieferung die sabinischen Quirites gewesen sind. Ich hatte Ihnen ja bereits in einer früheren Vorlesungssitzung von dieser antiken Überlieferung berichtet - nämlich, dass das heutige Stadtgebiet Roms ursprünglich nicht nur von Latinern, sondern auch von Sabinern besiedelt war.
Nach der Tradition hatten sich der Gründer Roms, Romulus244, und der Sabinerkönig Titus Tatius245 entschlossen, diese beiden Siedlungskerne Palatin und Quirinal zu vereinen246. Ähnliches haben sie sicher schon von Griechenland gehört, und nach griechischem Vorbild spricht man auch in Rom bei diesem Vorgang von Synoikismos. Natürlich hatten sich Romulus und Titus Tatius nicht einfach auf friedlichem Wege zu diesem vernünftigen Schritt geeinigt, sondern erst, nachdem sie heftig Krieg gegeneinander geführt hatten. Romulus war nach der antiken Überlieferung der Gründer und erste König von Rom und der Sohn oder Enkel des Aeneas, von Romulus glaubten die Römer aber auch, dass er der Sohn ihres Kriegsgottes Mars sei.
Der Mythos des Romulus und dessen Bedeutung sind gegenwärtig heftig umstritten, aber mehr als ich Ihnen hier mitteile benötigen Sie nicht, um meinen Ausführungen folgen zu können. Ich hatte Ihnen ja bereits berichtet, dass auch Aeneas als Gründer Roms galt - weshalb die römischen Historiographen alle Mühe hatten, diese beiden sich gegenseitig ausschließenden Mythen miteinander abzugleichen, was nach typisch antiker Verfahrensweise, wie soeben angedeutet, wie folgt gelöst wurde: man konstruierte zwischen beiden Protagonisten ein verwandtschaftliches Verhältnis.
24. Dia
Eigene Karte: Kapitol bis Lucus Streniae
Prozession der Salii 06062010
= C. HÄUBER 2005, S. 29, Abb. 5 (verändert), Karte des Kapitolshügels mit seiner Umgebung
Wie bereits erwähnt, fanden die Umzüge der Salier auf einem Prozessionsweg statt, der über weite Strecken derselbe war, den auch die Triumphatoren beim Triumphzug genommen haben: dabei führten die Marspriester die 12 heiligen Schilde mit sich, gegen die sie während des Umzuges mit eigens dazu vorgesehenen Stäben schlugen, außerdem führten sie ihren Tanz auf, von dem wir ja gehört haben, dass er Kampfhandlungen darstellte. Die heiligen Schilde der Salier wurden in der Regia aufbewahrt, einem Gebäude am Forum Romanum, das wir noch kennenlernen werden. Hier begann ihr Umzug und führte von dort, auf der Sacra Via, der nach den hier stattfindenden Prozessionen benannten `Heiligen Straße´, zunächst einmal zu ihrem oberen, östlichen Ende247 am lucus und sacellum Streniae (dem `heiligen Hain und Schrein der Strenia´), dann zurück auf der Sacra Via zur Arx, dem westlichen Ende der Straße, und schließlich auf das Capitolium, zum Tempel des Iuppiter Optimus Maximus248. Die Salier bewegten sich somit bei ihrem Umzug auch noch in historischer Zeit auf der alten Grenzlinie zwischen den Siedlungen auf dem Palatin und dem Quirinal, die es zur Zeit des Romulus und des Titus Tatius249 gegeben hatte, als ihre beiden Priesterschaften gegründet worden sein sollen.
Leider wissen wir nicht, ob den Saliern der Republik und der Kaiserzeit dieses Faktum noch bewußt gewesen ist, und falls das der Fall war, ob sie mit ihrem Umzug bewußt auf diesen Teil ihrer mythischen Vorgeschichte Bezug genommen haben oder nicht. Fakt ist, dass es bereits seit der Königszeit eine enge kultische Verbindung zwischen der Regia, der Sacra Via, dem Schrein der Strenia und der Arx gegeben hatte, und schließlich hatte die Wahl dieses Prozessionsweges den Vorteil für die Salier, dass das `ganze römische Volk´ bei ihrem Umzug zuschauen konnte.
Nun also zum `Raub der Sabinerinnen´.
Kurz nachdem Romulus die Stadt Rom gegründet hatte, wo zu diesem Zeitpunkt nur Männer lebten, kam es zu dem berühmten Raub der Sabinerinnen, was natürlich dazu führte, dass der König der Sabiner, Titus Tatius, Krieg gegen Romulus führte. In diesem Zusammenhang bestach Titus Tatius Tarpeia250, die Tochter des Sp. Tarpeius, des Befehlshabers der auf der Arx befindlichen Festung: die Arx war damals von einer Mauer umgeben und Titus Tatius bat Tarpeia, ihm und seinen Soldaten eine Pforte in dieser Mauer zu öffnen. Tarpeia willigte ein und verlangte als Lohn, `was die sabinischen Soldaten am linken Arm tragen´. Tarpeia hält ihr Versprechen und führt den Sabinerkönig und seine Soldaten auf die Arx. Doch als Tarpeia den Sabinerkönig auffordert, sie als Lohn für ihren Verrat an ihren Mitbürgern zu heiraten, lässt er sie statt dessen von seinen Soldaten töten, indem diese das Mädchen unter ihren Schilden begraben.
Damit hält auch Titus Tatius sein Versprechen, denn seine Soldaten tragen ihre Schilde am linken Arm, Tarpeia hatte aber eigentlich an die goldenen Armreifen gedacht, welche die Sabiner am linken Arm trugen. Nach einer anderen Version der Sage hatte Tarpeia geplant, sich die Schilde der Sabiner bei Eintritt in das Tor aushändigen zu lassen, um auf diese Weise die Feinde zu entwaffnen. Dies fand auf der Arx statt, weshalb der dort befindliche Tarpeische Felsen nach ihr benannt war - sogar der gesamte Kapitolshügel konnte in den antiken Schriftquellen Mons Tarpeius genannt werden. Die Geschichte der Tarpeia wurde, wie alle diese Sagen, in ganz unterschiedlicher Form erzählt. Der Raub der Sabinerinnen und der Tod der Tarpeia wurden häufig von den Römern dargestellt.
25. Dia
A. LA REGINA 2009, S. 18,
Detail des Marmorfrieses der Basilica Aemilia: Raub der Sabinerinnen, augusteisch
Ich zeige Ihnen hier bereits schon einmal vorab ein Detail des Marmorfrieses der am Forum Romanum befindlichen Basilica Aemilia, jenem großen öffentlichen Gebäude, das wir uns genauer anschauen werden, wenn wir uns mit dem Forum Romanum beschäftigen. Leider ist dieser in augusteischer Zeit entstandene Marmorfries251 in winzig kleine Fragmente zerbrochen, weshalb seine Reliefdarstellungen nur schwer erkennbar sind: das hier gezeigte Detail zeigt uns einen Römer, der ein schreiendes und zappelndes Mädchen mit langen, gelösten Haaren in den Armen trägt, offensichtlich eine der soeben geraubten Sabinerinnen. Wie man hier (an den langen Haaren) sehen kann, handelte es sich hierbei um die (unverheirateten) Töchter der Sabiner. Romulus war bei dieser Aktion, die seine unbeweibten Römer mit einem Schlag mit Ehefrauen versorgte, im Übrigen sehr gescheit vorgegangen, er hatte die Sabiner nämlich zum Fest der Consualia252 eingeladen, die im Tal des späteren Circus Maximus gefeiert wurden. Sie bestanden aus Rennen, die zu Ehren des Gottes Consus stattfinden, ein Umstand, der dazu führte, dass Consus mit dem griechischen Gott Poseidon hippios identifiziert werden konnte253. Das war natürlich eine Sensation, die (männlichen) Sabiner kamen gerne, und brachten gleich ihre ganzen Familien mit (!).
26. Dia
Eigene Karte: Prozession_ Salii_06062010
Den angeblichen Schauplatz des Raubes der Sabinerinnen sehen wir auf dieser Karte, das Gelände des späteren Circus Maximus254, der im Tal zwischen dem Palatin und dem Aventin gelegen ist. Der Altar des Gottes Consus255, dem zu Ehren bereits Romulus die erwähnten Rennen veranstaltet haben soll, muss sich irgendwo im Gelände des späteren Circus befunden haben, lässt sich aber nicht genau lokalisieren. Die Tarquinier sollen den Circus Maximus dann als Holzkonstruktion errichtet haben, in der hier gezeigten monumentalen Form wurde der Circus Maximus aber erst unter Caesar ausgebaut und man schätzt, dass er auf seinen Zuschauerrängen 150.000 Zuschauern Platz bot.
27. Dia
A. LA REGINA 2009, S. 106,
Denar des L. Titius Sabinus, Münzstätte Rom, 89 v. Chr. Bestrafung der Tarpeia, Rom, Museo Nazionale Romano, Palazzo alle Terme
Dieses Dia zeigt Ihnen die Bestrafung der Tarpeia auf einem Denar des L. Titius Sabinus. Das Cognomen `Sabinus´ dieses Mannes erklärt, warum er diese Szene auf seine Münze setzen ließ. Der Münzort ist Rom und die Münze wurde im Jahre 89 v. Chr. geprägt. Wir erkennen die am Boden zusammengebrochene Tarpeia, auf der bereits einige Schilde liegen, und die schreiend oder bittflehend beide Arme in Richtung der beiden sie flankierenden sabinischen Soldaten ausstreckt, die aber kein Erbarmen kennen, sondern sich anschicken ebenfalls ihre Schilde auf sie zu werfen.
28. Dia
C. HÄUBER 2005, S. 29, Abb. 5 (verändert), Karte des Kapitolshügels mit seiner Umgebung - Kapitol 06062010
Weshalb erzähle ich Ihnen etwas von Tarpeia ? Ich bin nach der vorletzten Vorlesungssitzung auf den nach Tarpeia benannten Tarpeischen Felsen, das Saxum Tarpeium auf der Arx, angesprochen worden. Dieser Felsen befand sich auf der Ostseite der nördlichen Erhebung des Kapitolshügels, der Arx, und von dort wurden von einen Magistrat zum Tode verurteilte Römer herabgestoßen - und zwar deshalb von dieser Stelle, damit die Bürger Roms vom Forum Romanum aus zuschauen konnten. Zuvor waren die zum Tode Verurteilten im nebenan gelegenen Gefängnis, dem Carcer, eingekerkert gewesen, und es konnte geschehen, dass ihre Leichen eine Zeitlang auf den Gradus Monetae, `Stufen, die vom Forum Romanum zum Tempel der Iuno Moneta auf der Arx´ hinaufführten, zur Schau gestellt wurden, ehe sie vom Henker mittels eines Hakens über die Vicus Iugarius genannte Straße zum Tiber geschleift, und schließlich in den Fluss geworfen wurden. Eine griechische Quelle betont bei der Schilderung dieser grausigen Vorgänge, dass die Römer bei ihren Exekutionen am Tarpeischen Felsen jedoch in sofern noch vergleichsweise `human´ vorgegangen seien, als sie die zum Tode Verurteilten, wenn sie den Sturz überlebten, begnadigt hätten.
Die antiken Schriftquellen schildern das Saxum Tarpeium als einen sehr hohen und steil abfallenden Felsen. Heute ist der gesamte Bereich der Ostseite der Arx, wie bereits erwähnt, demgegenüber allein schon deshalb verändert, weil sich hier seit der Antike Steinbrüche befunden haben, wobei in der Antike auch die Stollen dieser Steinbrüche als Gefängnis dienten. So ganz nebenbei habe ich hier den Tempel der Iuno Moneta erwähnt, zu dem die genannten Stufen hinaufführten. Er stand auf dem Plateau der Arx und da dieses Areal seit dem Mittelalter komplett überbaut ist, gibt es keinerlei architektonische Reste, die Sie sich heute vor Ort ansehen könnten. Im Zusammenhang des Tempels für Iuppiter Optimus Maximus ist auch dieser Iunotempel von Bedeutung, denn man muss sich ja fragen, warum der Iuppitertempel nicht auf der Arx errichtet wurde, die man vom Forum Romanum wesentlich besser sehen konnte als das Capitolium, und die überdies etwas höher war als jenes - die moderne Forschung erklärt sich die Standortwahl für den Iuppitertempel allerdings damit, dass der Iunotempel bereits existierte als Tarquinius Priscus den Entschluss faßte, den Iuppitertempel zu errichten.
Alle topographischen Begriffe, die ich Ihnen soeben nannte, finden Sie im Lexicon Topographicum Urbis Romae mit Texten und Abbildungen erklärt.
Der Frieden in diesem oben erwähnten Krieg zwischen Römern und Sabinern - der durch den Raub der Sabinerinnen ausgelöst worden war - wird durch das Eingreifen eben dieser, den Römern frisch angetrauten sabinischen Frauen gestiftet. Daraufhin gibt es in Rom ein Doppelkönigtum von Romulus mit Titus Tatius. Die Geschichte vom Krieg zwischen Romulus und Titus Tatius, mit dem anschließenden Frieden und dem Beschluß, einen Synoikismos beider Siedlungskerne Palatin und Quirinal herbeizuführen, muß den Römern historischer Zeit schon allein deshalb plausibel erschienen sein, weil es die beiden vorhin genannten Sodalitäten der Salii gegeben hat, welche, wie die moderne Forschung meint, noch aus der Zeit des Synoikismos von Palatinsiedlung und Quirinalssiedlung stammen müssen.
Soweit also die beiden Sagen aus Roms Frühzeit, dem Raub der Sabinerinnen und dem Verrat der Tarpeia und ihrer anschließenden Bestrafung.
29. Dia - WIEDERHOLUNG
A. Mura Sommella 2000, S. 18, Abb. 17, Photo,
Kapitol, Steilabfall auf der W-Seite, Palazzo Caffarelli (erbaut auf dem IOM-Tempel)
Die Frage, die mir gestellt worden war, lautete, ob es sich bei dem Steilabfall unterhalb des Palazzo Caffarelli/ dem Tempel für Iuppiter Optimus Maximus auf der Westseite des Capitolium, womöglich um den Tarpeischen Felsen handele, von dem in der Antike zum Tode Verurteilten herabgestürzt worden sind. Sie erinnern sich, ich hatte Ihnen diese alte Photographie von diesem Steilabfall auf der Westseite des Capitolium in der vorletzten Vorlesungsstunde gezeigt. Dies ist nicht der Fall, doch man hat genau das in früheren Jahrhunderten angenommen - diese Frage berührt im Übrigen ein großes Problem der topographischen Forschung, das zwar inzwischen gelöst ist, jedoch viele Nachwirkungen hat, auf die ich im Folgenden kurz eingehen möchte.
30. Dia
T. P. WISEMAN 1999, 237-238, Abb. 114,
Karte der modernen Bebauung auf dem Kapitolshügel mit Eintrag der vier verschiedenen Lokalisierungsvorschläge für den Tarpeischen Felsen / Saxum Tarpeium
Ausgelöst wurde dieses Problem dadurch, dass jahrhundertelang unbekannt war, wo sich das Forum Romanum befunden hatte256. Wie erwähnt, wissen wir ja aus antiken Schriftquellen, dass die auf dem Forum Romanum stehenden Römer zuschauen konnten, wenn ein zum Tode Verurteilter vom Tarpeischen Felsen herabgestoßen wurde. Im Übrigen konnten zum Tode Verurteilte auch an anderen Orten in Rom exekutiert werden, der Sturz vom Tarpeischen Felsen war ja nur für die Ahndung ganz bestimmter Vergehen reserviert - er wird das letzte Mal für das Jahr 43 n. Chr. überliefert und war später verboten257. Da man jedoch in nach-antiker Zeit bis zum 19. Jh. nicht mehr wusste, wo sich das Forum Romanum befunden hatte, wurde der Tarpeische Felsen im Laufe der Zeit an insgesamt 4 verschiedenen Stellen auf dem Kapitolshügel lokalisiert. Im Lexicon Topographicum Urbis Romae unter dem Stichwort Saxum Tarpeium258 finden Sie diese Karte der modernen Bebauung auf dem Kapitolshügel mit Eintrag der vier verschiedenen Lokalisierungsvorschläge für den Tarpeischen Felsen.
Ich bitte Sie, sich diese Karte im LTUR anzuschauen und das von mir jetzt dazu Gesagte zu merken. Die Ziffer 1 auf dieser Karte markiert den Steilabfall unterhalb des Palazzo Caffarelli / dem Tempel für Iuppiter Optimus Maximus, den wir soeben noch einmal im Photo gesehen haben. Wenn hier jemand den Felsen herabfällt, kann man das auf dem Forum Romanum mit Sicherheit nicht sehen [allgemeine Zustimmung].
31. Dia
C. HÄUBER 2005, S. 29, Abb. 5 (verändert), Karte des Kapitolshügels mit seiner Umgebung - Kapitol 06062010
Die Tatsache, dass der Tarpeische Felsen an dieser Stelle angenommen wurde, hing damit zusammen, dass man zu jener Zeit (16.-17. Jh.) überzeugt war, dass die Namen `Tarpeischer Felsen´ und `Felsen der Carmenta´ zwei verschiedene Bezeichnungen für dasselbe landschaftliche Element am Kapitolshügel seien259. Auf den Felsen der Carmenta werde ich noch zurückkommen. Er lag, wie wir aus Schriftquellen wissen, am Fuße des Kapitolshügels, dort, wo dieser dem Tiber am nächsten ist, und wird heute deshalb zu Recht ganz in der Nähe der Kirche S. Omobono und der Area sacra di Sant'Omobono lokalisiert.
32. Dia - WIEDERHOLUNG
T. P. WISEMAN 1999, 237-238, Abb. 114,
Karte der modernen Bebauung auf dem Kapitolshügel mit Eintrag der vier verschiedenen Lokalisierungsvorschläge für den Tarpeischen Felsen / Saxum Tarpeium
Die Ziffer 2 auf dieser Karte bezeichnet die zeitlich spätere Lokalisierung (zu Anfang des 19. Jhs.) des Tarpeischen Felsens, und zwar wurde der Felsen in diesem Fall oberhalb der Kirche S. Omobono260 angenommen, zum einen, weil das Forum Romanum zu diesem Zeitpunkt zwischen dem Kapitol und dem Palatin angenommen wurde, zum anderen, weil zu diesem Zeitpunkt an genau dieser Stelle noch ein Steilabfall des Capitolium existiert hat, den es heute auf Grund der Erosion nicht mehr gibt. Wenn ein Mensch von dieser Stelle herabgestürzt worden wäre, wäre er nach dieser Vorstellung demnach buchstäblich auf das Forum Romanum gefallen. Die mit der Ziffer 3 bezeichnete Stelle befindet sich auf der Ostseite der Arx - wie wir heute wissen hätten Leute, die auf dem Forum Romanum standen, eine an dieser Stelle vollzogene Exekution mit Sicherheit nicht in allen Details erkennen können. Die mit der Ziffer 4 bezeichnete Stelle ist, wie bereits gesagt, die richtige Lokalisierung des Tarpeischen Felsens.
Wenn Sie sich Fragen, warum diese 4 verschiedenen Lokalisierungen des Tarpeischen Felsens für die topographische Forschungen bis heute so verheerende Folgen haben sollten, wie ich behaupte, dann müssen Sie sich Folgendes vorstellen. Jeder Forscher (oder jede Forscherin), der heute über die Topographie des antiken Rom arbeitet, steigt an irgendeiner Stelle der Forschungsgeschichte ein. Es ist ganz selbstverständlich, dass er nicht die gesamte ca. 1000jährige Forschungsgeschichte zu dem entsprechenden Sachverhalt bzw. zu den vielen Sachverhalten, mit denen er sich in diesem Zusammenhang beschäftigen muss, selbst komplett nachvollziehen und überprüfen kann. Dabei sind aktuelle divergierende Forschungsmeinungen nachweislich auf verschiedene Lokalisierungsvorschläge für den Tarpeischen Felsen gegründet - wobei 3 dieser Vorschläge nachweislich falsch sind. Wenn dieser neue Forscher das nicht bemerkt, besteht somit die Gefahr, dass er nicht nur alte Fehler weiter tradiert, sondern dass seine eigenen Schlüsse, da auf falschen Prämissen gegründet, gleichfalls falsch sein werden261.
[Bis hierhin in der 7. Vorlesungssitzung gelesen].
199 Die Kultbilder der Iuno und der Minerva in diesem archaischen Tempel vermutlich ebenfalls, obwohl sie in den Quellen nicht erwähnt werden; vgl. KlPauly 5 (München 1979) Sp. 1340 s. v. Vulca (W. H. GROSS).
200 M. TORELLI 1990, 100 ("preparazione" und "esebizione pubblica delle >prove<").
201 KlPauly 3 (München 1979) Sp. 879 s. v. Magistratus (W. KIERDORF): "vor Sulla waren 10 Jahre Militärdienst Voraussetzung für den Eintritt in die Ämterlaufbahn".
202 Dies wird von R. T. RIDLEY 2005, passim, bezweifelt.
203 A. STEWART 1990 I, 375 s. v. Pheidias, Zeus at Olympia, figs. 372-377 (mit allen antiken Schriftquellen in englischer Übersetzung).
204 KlPauly 3 (München 1979) Sp. 3 s. v. Iuppiter; vgl. Sp. 1-6 (W. EISENHUT).
205 KlPauly 3 (München 1979) Sp. 878 s. v. Magistratus (W. KIERDORF)
206 s. M. TORELLI 1990, 97.
207 KlPauly 3 (München 1979) Sp. 1081-1083 (E. BUND); vgl. 4 (München 1979) Sp. 205-206 s. v. Nuptiae (A. WLOSOK).
208 KlPauly 3 (München 1979) Sp. 28-29 s. v. Iuventas (-us) (W. EISENHUT).
209 KlPauly 3 (München 1979) Sp. 28-29 s. v. Iuventas (-us) (W. EISENHUT).
210 vgl. zu diesen Beispielen die Kommentare von N. PURCELL 1987, 57 mit Anm. 61.
211 D. PALOMBI 2010, 67.
212 KlPauly 3 (München 1979) Sp. 878-881 s. v. Magistratus (W. KIERDORF).
213 dieser Absatz ist z. T. gestützt auf das Referat von Elena Köstner, "Die Amtseinführung der Consules am 1. Januar" in der Übung von C. Häuber und F. X. Schütz, "Rom - digital. Der Kapitolshügel", Universität Regensburg, WS 2003/04, Lehrstuhl für Alte Geschichte, Ergänzungsausbildung in EDV, die von ihr zitierte Literatur, die ich ihr für ihr Referat gegeben hatte, ist hier nicht wiederholt [...].
214 spätestens seit 153 v. Chr.
215 KlPauly 5 (München 1979) Sp. 92 s. v. Sella curulis (H. GUGEL).
216 KlPauly 3 (München 1979) Sp. 5 s. v. Iuppiter (W. EISENHUT).
217 KlPauly 3 (München 1979) Sp. 5 s. v. Iuppiter (W. EISENHUT).
218 Cn. Pompeius magnus ist das klassische Gegenbeispiel: er hatte, nur 25 Jahre alt, von Sulla den Oberbefehl von Truppen übertragen bekommen und Cn. Domitius Ahenobarbus und Hiarbas in Africa besiegt - 79 v. Chr. musste ihm daraufhin Sulla auf Druck des Pompeius und seines Heeres einen Triumph zugestehen, obwohl Pompeius zu jung war und noch kein Amt bekleidet hatte; Sulla nannte ihn daraufhin "Magnus", ein Beiname, der Pompeius fortan zugestanden wurde; KlPauly 4 (1979) 1023 s. v. Pompeius, Cn. Pompeius Magnus (R. HANSLIK); T. HÖLSCHER 2008, 105.
219 siehe auch die vorige Anm. Dem Sieg des Octavian bei Actium gegen Marc Anton war deshalb eine Kriegserklärung an die ptolemäische Königin Kleopatra VII. vorausgegangen (mit der Marc Anton zu diesem Zeitpunkt verheiratet war).
220 vgl. zu einer diesbezüglichen Ausnahme, A. LO MONACO 2010, 35 (229 v. Chr., Triumph ex Illureis, ohne vorherige Schlachten oder gar Blutvergießen).
221 KlPauly 1 (München 1979) Sp. 783-784 s. v. Auxilia (A. NEUMANN): Auxilia waren "volksfremde", d. h. peregrine Hilfstruppen, "nationale Spezialwaffengattungen wie kretensische Bogenschützen, balearische Schleuderer, etc., die die minderwertige leichte, italische Infanterie und Kavallerie an Qualität weit übertrafen und schließlich ersetzten".
222 s. zum ganzen Vorgang, DNP s. v. Claudius (W. ECK).
223 KlPauly I (München 1979) Sp. 1248-1249 s. v. Coloniae (D. MEDICUS): Anfangs waren diese römischen Coloniae "ein Stück Rom in der Fremde".
224 M. BEARD, J. NORTH und S. PRICE 1998 I, 173: "Roman myths were in essence myths of place ... In general Roman myths do not have such a wider context [wie die damit in dieser Textpassage verglichenen griechischen]".
225 C. HÄUBER, Manuskript `Venus vom Esquilin´, unveröffentlicht.
226 s. C. HÄUBER, Manuskript `Venus vom Esquilin´, unveröffentlicht und Isis et Serapis, unveröffentlicht.
227 s. Enea nel Lazio 1981, 230, zu diesem Stück; vgl. für die Deutung, ebenda, S. 189.
228 M. TORELLI 1990, 97-99; vgl. KlPauly 3 (München 1979) Sp. 1081-1083 s. v. Matrimonium (E. BUND); Sp. 1082: "Zu den absoluten Ehevoraussetzungen gehörten pubertas und Geschäftsfähigkeit".
229 M. TORELLI ebenda.
230 Das MSD Manual. Handbuch Gesundheit. Medizinisches Wissen und ärztlicher Rat für die ganze Familie (München 2004) 1251 (im Kapitel 258: Pubertät und Probleme des Heranwachsenden) bestätigt, dass junge Männer dieses Alters zeugungsfähig sind.
231 es gibt noch mehr derartige Darstellungen, s. M. TORELLI 1990, 95 mit Anm. 13.
232 so M. TORELLI 1990, 95-96, da nach römischer Tradition König Numa (715-673 v. Chr.) die Priesterschaft der Salier eingerichtet hatte; vgl. zu den Saliern, M. BEARD, J. NORTH und S. PRICE 1998, II, 4-5, Nr. I.2, S. 83, Nr. 4.2d, S. 126-128, Nr. 5.4, S. 195, Nr. 8.1a, sowie I, S. 27, Nr. I,2, S. 43, Nr. 1.4., S. 229, Nr. 5.2.
233 T. SCHÄFER 1980, 351-353, 362-363, vgl. S. 370-371 und passim.
234 darunter trugen die Salier ein hier nicht sichtbares Untergewand, die tunica angusticlavia, ganz genau so wie die Ritter; dies zeige nach T. SCHÄFER 1980, 363-364, den Bezug dieser Sodalitas zum alten Reiteradel; vgl. hierzu T. P. WISEMAN 2008, 71 (er ist auch später anzusetzen als die antiken Schriftquellen behaupten).
235 T. SCHÄFER 1980, 349.
236 T. SCHÄFER 1980, 370-371.
237 T. SCHÄFER 1980, 368, Abb. 21.
238 T. SCHÄFER 1980, 369: "Die Salier wurden bei ihren Umzügen von der gesamten Staatspriesterschaft und den tubicines sacrorum populi Romani begleitet, besonders zur Feier des Armilustrum".
239 T. SCHÄFER 1980, 372 mit Anm. 125; vgl. KlPauly 1 (München 1979) Sp. 342-343 s. v. Ancile (W. EISENHUT).
240 M. TORELLI 1990, 93-94 mit Anm. 3: "..., il cittadino di Roma arcaica ha ... un compito sociale precipuo, quello della guerra, e i riti di passaggio assegnati ai giovani maschi coerentemente enfatizzano appunto la pedagogia guerriera che culmina nella religione saliare".
241 M. TORELLI 1990, 95-96.
242 M. TORELLI 1990, 96-99.
243 KlPauly 4 (München 1979) Sp. 1511 s. v. Salii 2., a saliendo (K. ABEL), zum Teil wörtlich zitiert.
244 KlPauly 4 (München 1979) Sp. 1455-1456 s. v. Romulus (G. RADKE).
245 KlPauly 5 (München 1979) Sp. 533-534 s. v. T. Tatius (E. OLSHAUSEN).
246 KlPauly 4 (München 1979) Sp. 1314-1316 s. v. Quirinus (K. ZIEGLER).
247 dort befand sich das caput Sacrae viae, die bis zur Arx führte; LTUR IV (1999) 378 s. v. Strenia, sacellum, lucus (F. COARELLI).
248 so M. TORELLI 1990, 98-99.
249 LTUR IV (1999) 224 s. v. Sacra Via (F. COARELLI): nach Fest. 372 L. sei die Sacra Via nach dem Vertrag benannt, den Romulus und Titus Tatius miteinander geschlossen hatten.
250 KlPauly 5 (München 1979) Sp. 522 s. v. Tarpeia (G. RADKE).
251 nicht berücksichtigt habe ich M. TORELLI, M. MENICHETTI, G. L. GRASSIGLI 2008, 116.
252 diese fanden am 21. August statt; T. P. WISEMAN 2008, 239.
253 vgl. zu diesen Vorgängen, KlPauly 1 (München 1979) Sp. 1295 s. v. Consus (W. EISENHUT); IV (München 1979) Sp. 1481-1482 s. v. Sabini (G. RADKE); LTUR I (1993) 322 s. v. Consus, Ara (P. CANCIO ROSSETTO).
254 LTUR I (1993) 272-277 s. v. Circus Maximus (P. CANCIO ROSSETTO).
255 LTUR I (1993) 322 s. v. Consus, Ara (P. CANCIO ROSSETTO).
256 Erst L. CANINA sollte die korrekte Lokalisierung des Forum Romanum gelingen (1845), s. R. T. RIDLEY 2005, 88 mit Anm. 32.
257 KlPauly 5 (München 1979) Sp. 522-523 s. v. Tarpeium saxum (G. RADKE).
258 = T. P. WISEMAN 1999 in der Literatur- und Dialiste.
259 s. C. HÄUBER 2005, 33 mit Anm. 189: A. J. C. A. Dureau de La Malle (s. l. n. d.), der seine diesbezüglichen Ideen 1816 in einem Vortrag dargelegt hatte, konnte diesen Irrtum widerlegen, ersetzte ihn aber selbst mit einem ebenso folgenschweren Irrtum, indem es das Saxum Tarpeium oberhalb von S. Omobono lokalisierte; vgl. ebenda S. 33 mit Anm. 192, ein Irrtum, dem (unbewußt) auch C. REUSSER 1993 gefolgt ist, s. C. HÄUBER 2005, 26-34.
260 s. vorige Anm.
261 vgl. C. REUSSER 1993 (s. o. Anm. 249).
Datenschutzerklärung | Impressum