Die Kolossalstatue Konstantins des Großen im Konservatorenpalast und ihre
plastische Rekonstruktion im Maßstab 1: 1 von Claudio Parisi Presicce (2022)
(vergleiche hier Figs. 11; 11.1; 156)
Nach unserem Besuch bei Claudio Parisi Presicce auf dem Kapitol in Rom am 23. April 2024, hat Franz Xaver Schütz ganz zufällig die von ihm in Auftrag gegebene plastische Rekonstruktion des Konstantinkolosses (hier Fig. 156) im Garten der Villa Caffarelli entdeckt - die sehr eindrucksvoll ist und viel größer, als ich nach den Fragmenten des Kolosses (hier Fig. 11) zu urteilen erwartet hätte. Wir hatten dann glücklicherweise noch bis zum 15. Mai Gelegenheit, diese Rekonstruktion bei Gesprächen in Rom mit Domenico Palombi, Filippo Coarelli, Carlo Gasparri und schließlich auch mit Claudio Parisi Presicce selbst zu diskutieren. Wieder nach München heimgekehrt, kamen Telefonate und Email-Korrespondenzen mit Lorenzo Cigaina, Stephan Faust, Eric M. Moormann, Hans-Ulrich Cain, Ernst Künzl, Eberhard Thomas, Hans Rupprecht Goette, Laura Gigli, Daniel Graepler, Peter Herz, Rose Mary Sheldon und Eve D'Ambra hinzu. Alle hier Genannten haben mir wichtige Hinweise gegeben, und einige waren überdies so freundlich, den folgenden Text zu lesen und zu korrigieren.
Die Kolossalstatue Konstantins des Großen (hier Fig. 11) war ein Akrolith, bei dem der Kopf, und was von der Brust, den Armen und Beinen sichtbar war, aus parischem Marmor skulptiert worden ist, die Gewandung war dagegen vermutlich aus vergoldeter Bronze gearbeitet; vergleiche Claudio Parisi Presicce (2006b, 140; ders. 2022, 390); sowie Adam Lowe (2022, 413).
Claudio Parisi Presicce (2022, 395-396) schlägt in seiner neuesten Publikation zu diesem Themenkomplex vor, dass es sich bei dieser Statue Kaiser Konstantins um das umgearbeitete (vierte) Kultbild Domitians des Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus handele (siehe dazu unten, zu Punkt 1.) - 7.)).
Wie erwähnt, habe ich oben in Band 3-1 sehr ausführlich sowohl Domitians Kultbild des Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus, als auch die Kolossalstatue Konstantins des Großen im Konservatorenpalast (hier Fig. 11) diskutiert. Ich schicke gleich voraus, dass mir beim Verfassen der hier folgenden Addenda et Corrigenda noch einiges sehr viel klarer geworden ist als in diesen Kapiteln beschrieben. Auf der Basis aller dieser Erkenntnisse widerspreche ich Parisi Presicces (2022) diesbezüglichen Behauptungen, und zwar aus einer Reihe von sehr verschiedenen Gründen:
1.) Bereits Cécile Evers (2001) konnte nachweisen, dass die zu Grunde liegende Skulptur ein Portrait des Kaisers Hadrian gewesen ist: An beiden Schläfen des Konstantinportraits, besonders aber auf der rechten Kopfseite, haben sich Reste der Frisur Hadrians seines `Rollocken-Portraittypus´ erhalten, außerdem weist dieser Konstantin die für Hadrian typischen Grübchen in seinen Ohrläppchen auf, und schließlich ist deutlich erkennbar, dass das originale Bildnis bärtig war.
Vergleiche dazu die Photodokumentation des Konstantinportraits von Franz Xaver Schütz auf unserem Webserver, mit meinen entsprechenden Textpassagen aus oben, Band 3-1. Siehe: https://fortvna-research.org/photos/Fragmente_Kolossalstatue_Konstantin_ehemals_Hadrian.html
Ich schlage vor, wie die Umarbeitung des ursprünglichen Bildnisses Hadrians in das des Konstantin bewerkstelligt worden sein kann (s.o., in Band 3-1, 748, zu Punkt f), und S. 759-761). Als eine sehr wichtige Voraussetzung für meine entsprechende Hypothese hat sich die oben erwähnte Tatsache herausgestellt, dass es sich bei dem Hals des Konstantinportraits (hier Fig. 11) um eine moderne Ergänzung handelt; vergleiche Claudio Parisi Presicce (2005, 146; s.o., in Band 3-1, 754, 759; vergleiche ders. 2022, 396, 399, 400); siehe auch Adam Lowe (2022, 413).
Als ich diesen Text geschrieben habe, war mir der entsprechende Vorschlag von Klaus Fittschen (2012b, 74-77, Taf. 24,8.9) noch unbekannt, ein Aufsatz, den mir freundlicherweise etwas später Hans Rupprecht Goette geschickt hat. Daraufhin habe ich auch Fittschens Hypothese diskutiert, wie seiner Meinung nach diese Umarbeitung stattgefunden hat (s.o., in Band 3-1, 763-769).
Weitere Erkenntnisse zum Umarbeitungsvorgang dieses Bildnisses steuert Hans Rupprecht Goette bei; vergleiche "The Contribution by Hans Rupprecht Goette on the reworking of the portrait of Hadrian (now Constantine the Great" (s.o., in Band 3-1, 762, sowie seinen Beitrag auf S. 1266-1267).
Wie erwähnt, schlage ich des Weiteren vor, dass es sich bei dem originalen Bildnis, aus dem das Konstantinportrait (hier Figs. 11; 11.1; 156) entstanden ist, um das Kultbild des Divus Hadrianus im Hadrianeum gehandelt haben könnte (s.o., in Band 3-1, 498-499, 726, 729, 737-738, 758); s.u., zu Punkt 7.)
2.) Das (vierte) Kultbild des Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus, das Domitian in Auftrag gegeben hat, bestand vielleicht gar nicht aus Marmor, wie Parisi Presicce (2022, 396) schreibt, sondern war möglicherweise das von dem Künstler Apollonios geschaffenes Gold-Elfenbeinbild (s.o., in Band 3-1, 715, 718). Parisi Presicce (2022, 389) folgt dagegen der älteren Forschung, die davon ausging, dass das (zweite) Kultbild des Jupiter Capitolinus das von Apollonios gefertigte Gold-Elfenbeinbild gewesen sei.
Die Kultbilder des zweiten, dritten und vierten Tempels des Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus waren nach dem Vorbild des Kultbildes des Zeus in seinem Tempel in Olympia gestaltet worden, ein Werk des berühmten Phidias und eines der Sieben Weltwunder der antiken (westlichen) Welt; diese Zeusstatue war mit einem Himation und mit Sandalen bekleidet (hier Fig. 14). Wir wissen z.B., dass diese drei Kultbilder des Jupiter Capitolinus den Gott thronend darstellten, dass er mit der erhobenen linken Hand sein langes Szepter ergriff, und mit der rechten Hand ein Blitzbündel hielt (s.o., in Band 3-1, 707-709, 712, 714-715, 717, 719, 743, 750-751; auch zum Kultbild des Zeus in Olympia).
Wie wir unten, zu Punkt 4.) und auf hier Fig. 157 noch sehen werden, gibt es aber auch Münzdarstellungen des (vierten) Jupiterkultbildes, auf denen der Gott auf der rechten Hand einen Globus, mit darauf stehender Victoriastatuette, hielt - also genau so wie der Zeus in Olympia.
Der (erste), archaische Tempel des Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus war zwar bereits von den Tarquiniern geplant, und unter dem letzten dieser Könige, Tarquinius Superbus, nahezu vollendet worden, wurde aber erst nach der Vertreibung dieses Königs im Jahre 509 v. Chr. geweiht, angeblich von einem der beiden ersten Consules der Republik, M. Horatius Pulvillus, der aber nicht historisch ist (K.-L. Elvers 2001). Dieses Kultbild des Jupiter Capitolinus bestand aus Ton und war ein Werk des Vulca aus der Etruskerstadt Veji. Der Gott war thronend dargestellt und hielt ebenfalls in der rechten Hand ein Blitzbündel (!); vergleiche Gianluca Tagliamonte (in: LTUR III [1996] 145). Vergleiche für M. Horatius Pulvillus: Karl-Ludwig Elvers, "Horatius 6", in: Der Neue Pauly (DNP), Band 10 (Stuttgart: Metzler 2001) Sp. 589; T.P. Wiseman (2008, 8, 298-299, 309 [Marcus Horatius weiht den Tempel], 310).
Der (zweite) Tempel des Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus wurde errichtet, nachdem der erste, archaische Tempel im Jahre 83 v. Chr. abgebrannt war. Der zweite Tempel wurde im Jahre 69 v. Chr. von Q. Lutatius Catulus geweiht (s.o., in Band 3-1, 268, Anm. 181, im Kapitel I.1.; sowie unten, in Appendix I.c); und Appendix I.d). Dieser zweite Tempel des Jupiter Capitolinus ist am 19. Dezember 69 n. Chr., mitsamt seinem Kultbild, beim großen Brand des Kapitols zu Grunde gegangen, verursacht durch die Belagerung des Flavius Sabinus durch die Vitellianer (siehe dazu unten, in Appendix I.)
Dass, wie oben behauptet, das (zweite) Kultbild des Iuppiter Optimus Maximus Capitolinus ikonographisch ganz ähnlich dem (vierten) Kultbild Domitians (vergleiche hier Fig. 13) gewesen ist, beweist die Portraitstatue des Tiberius in Cerveteri (hier Fig. 15), die nach dem (zweiten) Kultbild des Jupiter Capitolinus gestaltet worden sein muss. Dieses Tiberiusportrait bestätigt, dass auch das (zweite) Kultbild des Jupiter Capitolinus in der rechten Hand ein Blitzbündel hielt, wie Stefano De Angeli (in: LTUR III [1996] 149, 150) festgestellt hat (s.o., in Band 3-1, 709). Vergleiche zu diesem Tiberiusportrait (oben, in Band 3-1, 708, 710, 717, 731); auf die Tatsache, dass in diesem Bildnis Tiberius barfuss dargestellt worden ist, werde ich unten, zu Punkt 7.), noch einmal zurückkommen;
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