Dr. Chrystina Häuber, Universität Tübingen
VORLESUNG SS 2010
Römische Archäologie I
(Republik)
Di, 14.00-16.00 Uhr
Am Beispiel der Stadt Rom und den dort noch vorhandenen, beziehungsweise präzise lokalisierbaren Bauten und Landschaftselementen soll die Epoche der Republik nachgezeichnet werden. Während dieses Zeitraums erobert Rom die italische Halbinsel und die Länder rund um das Mittelmeer, ein Prozess, der auch in der Stadt selbst in allen Bereichen des Lebens zu großen Veränderungen führt - am Ende wird sie eine Millionenstadt sein und die gewaltigen innen- und außenpolitischen Umwälzungen haben letztendlich die Entstehung des Prinzipats zur Folge. Wir werden diesen Prozess an ausgewählten archäologischen Denkmälern nachvollziehen, etwas über die beteiligten Protagonisten erfahren und uns überdies folgenden Themen widmen: die Stadt Rom zu Beginn der Republik: römische Kultur und Religion, die Bevölkerung, Versorgung mit Lebensmitteln, Leben und Sterben in Rom, das etruskische Umfeld, Wasserver- und entsorgung, öffentliche Bauten, Tempel. Sodann werden wir anhand von Bauten und anderen archäologischen Denkmälern versuchen nachzuvollziehen, welche Folgen die schrittweise Eroberung der italischen Halbinsel, sowie der griechischen Welt auf alle diese Bereiche des Lebens in Rom gehabt hat.
10 Sitzungen:
13., 20., 27. April, [4., 11. wegen Erkrankung ausgefallen], 18. Mai, (25. Mai vorlesungsfrei) 1., 8., 15.. 22., 29. Juni, 6. Juli (13. Juli Prüfung).
Dr. Chrystina Häuber
VORLESUNG SS 2010
Römische Archäologie I
(Republik)
1. Vorlesungssitzung
Di, 13. April 2010
Sehr geehrte Damen und Herren,
willkommen zur 1. Vorlesungssitzung !
Bitte tragen Sie sich in die umlaufenden Listen ein, ich bitte außerdem diejenigen, die im Rahmen ihres BA-Studiums eine Prüfung zu den Inhalten der Vorlesung absolvieren wollen, nachher zu mir nach vorne zu kommen.
Zur Vorlesung gibt es wie üblich einen Apparat in der Bibliothek sowie einen Ordner, in dem Sie die verwendete Literatur aufgelistet finden, nebst einer Liste mit allen verwendeten Dias, die ich im Laufe der Vorlesung entsprechend ergänzen werde. Aus diesem Grunde werde ich zu dieser Vorlesung keine Tafelanschriebe vornehmen, wie ich dies im Zusammenhang meiner 1. Vorlesung hier in Tübingen getan hatte, was jedoch keinen allgemeinen Anklang gefunden hat.
Für mich ist diese Vorlesung, analog zu der im Sommersemester 2009 zu `Rom in der Kaiserzeit´ eine Premiere. Herr Prof. Schäfer hat mich gefragt, ob ich auch diese Vorlesung halten möchte, und da ich über Rom forsche, habe ich gern zugesagt. Gegenwärtig bin ich am hiesigen Institut im eigenen Projekt angestellt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft finanziert wird - diese Vorlesung gehört allerdings nicht zu meinen Dienstobliegenheiten, sondern ich bereite sie in meiner Freizeit vor. Dabei unterstützt mich wie schon in der vorherigen Vorlesung ein zuverlässiger `Mitarbeiter´, der nicht genannt werden möchte [alle lachen].
Der Fokus der gesamten Vorlesung liegt auf der Stadt Rom, ihren Bauten und deren Ausstattung, sowie jenen Personen, die sie errichten ließen. Nach einer Einführung zur Stadt Rom als Ganzes, gehen wir dabei chronologisch so vor, dass wir mit den Anfängen der Republik und mit dem sakralen Zentrum Roms beginnen, dem Kapitolshügel, im Besonderen mit dem Tempel des Iuppiter Optimus Maximus. Dieser war bereits so gut wie fertiggestellt, als die römische Republik begann, weshalb wir uns in dieser Vorlesung zumindest so weit in den Bereich der davor liegenden Königszeit zurückbewegen, dass wir die Besonderheit dieses Tempelbaus begreifen können. Im Übrigen stammt noch sehr viel mehr aus der Königszeit, was im Laufe der Vorlesung gleichfalls zur Sprache kommen soll.
ZUNÄCHST MÖCHTE ICH ABER AUF DIE LITERATUR- UND DIALISTE EINGEHEN
In der heutigen Sitzung geht es also um die Anfänge der römischen Republik, beziehungsweise darum, warum die Römer ihren letzten König Tarquinius Superbus verjagt haben, um sich fortan selbst zu regieren. Dies soll sich im Jahre 510/ 509 v. Chr. zugetragen haben. Das heißt, am Ende des 6. Jahrhunderts v. Chr., einem Zeitraum, von dem wir wissen, dass auch die Athener ihr Herrscherhaus, die Peisistratiden, verjagt und sich selbst die Regierungsform der Demokratie gegeben haben.
Für uns heute ist es sehr schwierig, einen Zugang zu dieser frühen Periode Roms zu finden, da zeitgenössische Berichte zu diesen Vorgängen fehlen und spätere Autoren, die sich diesbezüglich äußern, zunächst einmal kritisch zu betrachten sind, ehe man ihre Aussagen verwerten kann. Glücklicherweise gibt es jedoch auch archäologische Denkmäler aus der entsprechenden Zeit, die wir betrachten werden, um zumindest eine gewisse Vorstellung der damaligen Zeit und Lebensumstände zu gewinnen.
Rom ist zu dem Zeitpunkt, an dem wir unsere Beschäftigung mit diesem Ort beginnen wollen, ein Stadtstaat.
2. Dia
A.-M. Wittke et al. 2007; dies. 2010
S. 66-67, Karte: Sprachen im alten Italien vor der Ausbreitung des Lateins
Ehe die Stadt Rom sich als Stadtstaat anschicken sollte, die italische Halbinsel - Italien - zu erobern, wurde Latein nur in Rom und Latium gesprochen. Es wird davon ausgegangen, so der Text zu dieser Karte, dass die Latiner und andere später auf der italischen Halbinsel lebende Volksgruppen von außerhalb Italiens im 2. und 1. Jahrtausend v. Chr. eingewandert seien - beweisen lässt sich das allerdings nicht, weil entsprechende Schriftzeugnisse fehlen.
Ursprünglich sollen auf der italischen Halbinsel ca. 40 verschiedene Sprachen und Dialekte gesprochen worden sein. Das heißt, wir müssen demnach auch von einer enormen Vielfalt der entsprechenden Kulturen ausgehen, wobei die Karte zeigt, dass das Siedlungsgebiet der einzelnen Gruppen nicht besonders groß gewesen ist - wenn man einmal die Etrusker ausnimmt. Unmittelbare Nachbarn Roms, sind, wie die Karte wiedergibt, Sabiner, Marser, Aequer und vor allem die Etrusker. Die Tatsache, dass der Stadtstaat Rom in der Lage sein sollte, alle diese vielen unterschiedlichsten Kultureinheiten seinem eigenen Herrschaftsgebiet einzuverleiben, beweist nicht nur, dass die Römer militärisch überlegen waren - man muss sich bei einer Betrachtung dieser Vorgänge natürlich nicht nur fragen, wie ihnen das gelungen ist, sondern auch, wie es möglich war, diese Herrschaft zu stabilisieren. Von der Motivation, die die Römer zu dieser Eroberungspolitik angetrieben hat, wird auch noch die Rede sein.
Joan R. Mertens, damals Leiterin der Abteilung Griechische und Römische Kunst des Metropolitan Museum of Art in New York, hat bereits im Jahre 1987 einen Teil des soeben angesprochenen Phänomens auf die folgende Formel gebracht: "Rome demonstrated what would always be its particular strengths: conquest and integration"1. `Rom zeigte, was immer seine besondere Stärke sein sollte: Eroberung und Integration´. Was darunter zu verstehen ist, und wie das Ganze funktioniert hat, war auch in Europa in den seither vergangenen Jahrzehnten Gegenstand zahlreicher Forschungen, die sich mit dem Themenkreis der sog. Romanisierung beschäftigt haben. Voraussetzung dieser von den Römern betriebenen Integrationspolitik, die von den sog. Eliten der eroberten Völker und Staatsgebilde fleißig, und zum eigenen Vorteil unterstützt werden sollte, war natürlich die vorausgehende Zerstörung ebendieser ehemals freien Staatsgebilde seitens der Römer. Wobei beide Fähigkeiten, die des militärischen Erfolges bei einem Kriegszug, und die der politischen und sozialen Integration in der anschließenden Friedenszeit nun wahrlich nicht selbstverständlich bei derselben Person, oder gar bei größeren Gruppen von Personen anzutreffen sind.
Ich hatte mir ohnehin vorgenommen, als roten Faden für diese Vorlesung die Eroberungspolitik Roms zu wählen, es gibt jedoch in Rom zur Stunde im Konservatorenpalast eine Ausstellung zu diesem Thema, deren Besuch ich Ihnen nur `wärmstens´ empfehlen kann. Den Katalog zu dieser Ausstellung finden Sie demnächst im Apparat zur Vorlesung, sein Titel lautet: I giorni di Roma: L'età della conquista, `Die Tage Roms: das Zeitalter der Eroberung´. Alles, was man zu diesem Zeitraum wissen sollte, finden Sie hier gut erklärt und anhand von archäologischen Denkmälern illustriert2. Sie werden in den folgenden Sitzungen der Vorlesung bemerken, dass ich viele Beispiele aus diesem Katalog verwenden werde.
Aber kehren wir noch einmal zu den vielen verschiedenen Volksgruppen zurück, die ursprünglich gemeinsam, aber keineswegs einträchtig die Italische Halbinsel bewohnt haben. Natürlich unterschieden sie sich auch in ihren Sitten und Gebräuchen, so wird davon ausgegangen, dass sowohl die Etrusker als auch die Latiner sich dadurch auszeichneten, ihre Toten einzuäschern (Brandbestattung), anstatt Körperbestattungen vorzunehmen3, ein Bestattungsbrauch (die Körperbestattung), der wiederum die Umbro-Sabeller ausgezeichnet hat. Wie wir später sehen werden, haben schließlich auch die Römer den Brauch der Körperbestattung übernommen - nach diesem Volksstamm, dessen Mitglieder umbro-sabellisch gesprochen haben, ist das heutige Umbrien benannt.
Das Wort übernommen ist an meinem letzten Satz die wichtigste Aussage: die Römer waren unerreichte Meister in der `Übernahme´ von Know-how, Sitten und Gebräuchen anderer Gruppen. Auch heutzutage würden Privatleute und erst recht Wirtschaftsunternehmen liebend gern das Know-how anderer verwerten, was ja den nicht unerheblichen Vorteil hat, die entsprechenden Betriebskosten zu sparen, welche der eigene Erwerb dieser Kenntnisse bzw. die eigene Entwicklung vergleichbarer Produkte bis zur Qualität einer verhandelbaren Ware kosten würde. Moderne Staaten versuchen sich deshalb gegen Plagiate, wie man so etwas nennt, zu schützen. Nicht so in der Antike, in der es diesen Gedankengang gar nicht gab, und ebensowenig eine entsprechende Begrifflichkeit bzw. Gesetze. Hier war allen Beteiligten klar, dass der militärische Sieger über das besiegte Volk nach Belieben verfügen konnte. Andererseits war aus der Rückschau auf die dann folgenden Veränderungen in der eigenen Gesellschaft auch schon sämtlichen antiken Beobachtern klar, dass die Sieger, wenn man einmal den militärisch-politischen Bereich ausklammert, nicht selten von den Besiegten kulturell `erobert´ worden sind.
Ich werde Ihnen in dieser Vorlesung nicht über alle diese Gruppen, welche uns dieses Karte zeigt, etwas berichten, werde aber auf jeden Fall auf die Etrusker eingehen. Diejenigen unter Ihnen, welche in diesem Semester das Proseminar zu Pompeji besuchen, werden z.B. etwas über die Samniten und Osker erfahren.
Interessanterweise waren sich weder die antiken Autoren einig, noch können moderne Spezialisten zweifelsfrei klären, ob Rom eine etruskische Stadt gewesen ist oder nicht. Im Text zur folgenden Karte wird als Selbstverständlichkeit behauptet, dass Rom eine etruskische Stadt gewesen sei. Wir werden im Laufe der Vorlesung erfahren, wie man die einzelnen Forschungsmeinungen zu dieser Frage begründen kann. Eine mögliche Antwort können wir anhand dieses Kartenbildes schon jetzt selbst formulieren: wenn man eine Gruppierung von Leuten anhand der Sprache vornimmt, dann waren die Etrusker Etrusker, weil sie Etruskisch sprachen, und die Römer waren offenbar keine Etrusker, weil sie eben nicht Etruskisch, sondern Latein sprachen.
3. Dia
A.-M. Wittke et al. 2007; dies. 2010
S. 74-75, Karte: Das etruskische Kernland
Von allen Gruppen, welche auf der vorigen Karte verzeichnet sind, haben nur die Etrusker Fernhandel betrieben. Außerdem haben sie bereits in der Antike das Interesse von Autoren anderer Völker in sehr viel stärkerem Maße geweckt als die anderen Volksgruppen, welche gleichzeitig mit ihnen die italische Halbinsel besiedelt haben. Die Etrusker sollen nach der Vorstellung Herodots (1, 94), einem griechischen Autor des 5. Jhs. v. Chr., aus Lydien4 in Kleinasien eingewandert sein, viele moderne Forscher glauben dies auch heute noch, andere verteidigen vehement die Vorstellung, die Etrusker stammten von der italischen Halbinsel selbst. Wie dieser Karte zu entnehmen ist, die das Hauptsiedlungsgebiet der Etrusker zeigt, lebten sie zwischen den Flüssen Tiber und Arno. Das von den Etruskern bewohnte Gebiet war von Natur aus fruchtbar, und sie wurden überdies auf Grund ihrer zahlreichen Bodenschätze sehr reich. Hierzu zählten vor allem verschiedene Metalle (besonders Eisen und Kupfer), die sie in den Bergen nahe der Tyrrhenischen Küste gefördert, und meisterlich verarbeitet haben. Dies wiederum ermöglichte es den Etruskern, mit den Phönikern und Griechen Handelsbeziehungen anzuknüpfen5. Das Tyrrhenische Meer und die Landschaft, die gegenwärtig Toskana heißt, sind nach ihnen benannt, denn die Griechen nannten dieses Volk Tyrrhenoi und die Römer Etrusci (Tusci), während sich die Etrusker selbst Rasna (Rasenna) nannten.
Die etruskische Sprache wurde im sog. etruskischen Alphabet geschrieben und ist aus über 10.000 Inschriften bekannt, Bilinguen (zweisprachige Texte), das heißt etruskische Texte, zusammen mit einer exakten Übersetzung in bereits besser bekannte antike Sprachen, existieren nicht in größerem Umfang, weshalb der Sinn der längeren etruskischen Texte leider noch nicht verstanden wird. Der Abschluss der sog. Ethnogenese6 - das heißt die Konstituierung der Etrusker als Volk - wird im Text zu dieser Karte im 9. Jh. v. Chr. angenommen. Etruskische Sprachzeugnisse gibt es seit dem 8. Jh. v. Chr., und man weiß, dass es, wie im griechisch sprechenden süditalischen Raum, im 7. / 6. Jh. v. Chr. sogenannte Tyrannen in Etrurien gegeben hat, das heißt Alleinherrscher, die aus Adelsfamilien stammten und zusammen mit ihrem Clan regiert haben. Man weiß auch, dass in dieser Zeit in Etrurien städtische Zentren entstanden, welche auf dieser Karte eingezeichnet sind, praktischerweise sind diese Städte mit den verschiedenen Namen benannt, welche diese Orte in der Antike getragen haben - Etruskisch, und manchmal Griechisch und Latein.
Früher ging man davon aus, dass die 12 bedeutendsten Etruskerstädte einen religiös7 oder politisch begründeten Städtebund gebildet hätten, inzwischen wird dies von einigen Forschern in Zweifel gezogen. Die Menschen innerhalb dieses großen Siedlungsgebietes haben nun keineswegs dieselbe etruskische Sprache geschrieben, und vermutlich ebensowenig dieselbe Sprache gesprochen. In der Epoche 6.-4. Jh. v. Chr. wird die größte Blüte der etruskischen Kultur angenommen, und man weiß, dass es bei den Etruskern eine reiche Überlieferung an literarischen Texten gab. Diese waren aber ausnahmslos auf vergängliches Material geschrieben, weshalb zwar noch in der Antike Fachleute, die diese Sprache lesen und verstehen konnten, mit diesen Texten gearbeitet haben - z. B. der römische Kaiser Claudius - sich aber leider kein einziger dieser Texte erhalten hat.
Sie sehen auf der Karte am Fluß Arno die heutigen Städte Florenz und Pisa als Etruskerstädte gekennzeichnet, deutlich wird auch, dass die am Tiber gelegene Stadt Rom bereits außerhalb des Kerngebietes der Etrusker lag. Rom grenzte aber unmittelbar an das Herrschaftsgebiet der Etruskerstadt Veji - die Grenze zwischen Rom und seinem Umland einerseits, und Veji und seinem Umland andererseits war der Tiber.
Die bedeutendste etruskische Stadt war Tarquinia, das nicht weit vom Mittelmeer entfernt lag und 3 Häfen besaß. Ferner ist auf dieser Karte die Etruskerstadt Arezzo eingetragen, die den heute bekanntesten Etrusker hervorbringen sollte: Gaius (Cilnius) Maecenas. Dieser Mann war der kluge und superreiche Freund des späteren Kaisers Augustus, der zu seinem bedeutendsten politischen Berater aufstieg. Bekannt wurde Maecenas durch seine Förderung von Literaten, was dazu geführt hat, mit seinem Namen in vielen Sprachen Kunst- und Kulturförderung zu bezeichnen, im Deutschen sprechen wir von `Mäzenatentum´. Der römische Vorname des Maecenas, Gaius, zeigt an, dass er bereits in Rom aufgewachsen war, der Gentilname Cilnius, den einige moderne Forscher als seinen Familiennamen ansehen, ist etruskisch, der volle Name dieses Mannes war aber, wie die Grabinschrift des offenbar von ihm selbst für seine Freigelassenen gestifteten Columbariums, ihrer Grabstätte, beweist, `Gaius Maecenas´8. Die Familie der Cilnii, der seine Mutter angehörte, hatte zeitweilig in der Stadt Arezzo geherrscht, wobei etruskischen Herrschern nicht nur säkulare Souveräne waren, sondern gleichzeitig das höchste Priesteramt innehatten. Diese Familie trieb Handel mit allen anderen etruskischen Zentren und Inschriften zeigen, dass sie eine etrurienweite Heiratspolitik betrieb. Auch die Familie von Maecenas' Vater gehörte zu den führenden Adelsfamilien der Etruskerstadt Arezzo. Der Reichtum dieser Familien gründete sich u.a. auch auf ihren bedeutenden Grundbesitz in Etrurien.
Bereits im 3. Jh. v. Chr. hatten die Vorfahren des Gaius Maecenas in Arezzo ihre Herrscherposition verloren, wie überhaupt bereits im 4. Jh. v. Chr. Demokratisierungstendenzen zur politischen Umgestaltung der einzelnen etruskischen Stadtstaaten geführt hatten. Am Schicksal der Familie des Gaius Maecenas lässt sich aufzeigen, welchen Einfluss der im selben Zeitraum aufsteigende Stadtstaat Rom auf Etrurien ausgeübt hat. Beginnend mit der Etruskerstadt Veji, die nach langem Ringen im Jahre 396 v. Chr. von den Römern endgültig besiegt worden war, gerieten bis zum Ende des 1. Jhs. v. Chr. alle ehemaligen Etruskerstädte in die Gewalt Roms. Natürlich haben nicht alle männlichen Etrusker in waffenfähigem Alter geduldig zu Hause darauf gewartet, dass auch ihre Stadt von den Römern belagert und schließlich eingenommen werden würde. Rom hatte in diesem Zeitraum einen enormen Zulauf von Menschen aus dem gesamten Mittelmeergebiet.
Die Familie des Vaters des Maecenas, der Lucius Maecenas9 hieß, war bereits seit Generationen in Rom ansässig gewesen, als Lucius Maecenas in Rom in den Ritterstand aufgenommen wurde - dem Ritterstand sollte auch der berühmte Gaius Maecenas (aus Überzeugung) Zeit seines Lebens angehören. Gaius Maecenas schlug sich im Jahre 42 v. Chr. auf die Seite Octavians, um fortan mit seinem kultivierten und luxuriösen Lebensstil etruskisches Wesen und ebensolche Lebensart berühmt zu machen. Seinen Reichtum verdankte er dabei nicht etwa ausschließlich Octavian/ Augustus, wie man lange geglaubt hat, sondern in großem Umfang seiner eigenen Familie10. Immerhin schaffte es Maecenas, mit seinem `Dichterkreis´, zu denen Vergil, Horaz, Properz und viele andere zählten, den bedeutendsten Dichterkreis lateinischer Sprache aus der Taufe zu heben - dabei hatte es in Rom, wie wir noch hören werden, keineswegs an früheren derartigen Versuchen von Seiten einflußreicher und gleichfalls sehr vermögender Vertreter des stadtrömischen Adels gefehlt. Auch das Verhalten des Maecenas seiner Ehefrau gegenüber, die er sogar in Staatsgeheimnisse einweihte, erinnert mehr an `typisch etruskisches´, als an `typisch römisches´ Verhalten. Wenn man diese Besonderheiten des Römers Maecenas - der er zu diesem Zeitpunkt ja bereits war - unter der Perspektive betrachtet, dass seine Vorfahren etruskische Herrscher gewesen sind, die sich vermutlich genauso verhalten haben wie er, wird einem etruskische Lebensart mit einem Schlag sehr viel deutlicher11.
Um derartige Klischees - `typisch etruskische´ und `typisch römische´ Lebensart - soll es in dieser ersten Vorlesungsstunde gehen.
Weiterlesen -> Hier geht's zur Fortsetzung der ersten Vorlesung
1 J. R. MERTENS 1987, 11.
2 E. LA ROCCA, C. PARISI PRESICCE, A. LO MONACO 2010.
3 was in Etrurien jedoch beides vorkam.
4 so auch Horaz über Maecenas, s. J. HEURGON 1971, 365 mit Anm. 121 (Hor., Sat. 1, 6, 1ff.); vgl. bis S. 377.
5 F. PRAYON 2010, 17-18.
6 in diesem Text wird der ansonsten umstrittene Begriff noch verwendet.
7 vgl. F. PRAYON 2006, 118 s.v. Fanum Voltumnae, zentrales Heiligtum der Etrusker bei Volsinii (Orvieto), das inzwischen von S. STOPPONI ausgegraben worden ist.
8 s. CIL VI, 21771.
9 s. CIL VI, 21771.
10 S. MRATSCHEK-HALFMANN 1993, 264, no. 10 ("C. Maecenas").
11 J. HEURGON 1971, 365.